Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
Schalcks Tätigkeit: Autos, Auslandsreisen, Trommelstöcke, das ganze Spektrum der Klagen und des Mangels aus dem Kulturbereich haben der KoKo-Chef und seine Unternehmen zur vollsten Zufriedenheit bedient. Die Regensburger Domspatzen hätten in der Thomaskirche zu Leipzig – wo Keller einst in der SED-Bezirksleitung saß – so wenig gezwitschert wie das Dresdner Staatsschauspiel nach München ins Residenztheater gereist wäre. Ohne das Zutun von Schalck-Golodkowski und Franz Josef Strauß hätten das Bayerische Nationalmuseum nicht in Dresden und die Staatliche Kunstsammlung Dresden nicht in München ihre Kostbarkeiten präsentieren können …
Strauß und Schalck hätten sich mit dem Milliardenkredit Millionen in die Tasche gesteckt, mokiert sich Keller, worauf Wuschech kontert: Genau darüber habe er mit Schalck wiederholt geredet. »Weder Strauß noch ich haben für diese finanzielle Transaktion auch nur einen Pfennig Provision bekommen«, habe Schalck ihm erklärt. Das sei auch schon aufgrund der technischen Abläufe nicht möglich gewesen: Ein Bankenkonsortium im Westen und die Außenhandelsbank der DDR waren daran beteiligt – wie hätte man da was abzweigen sollen?
Keller bleibt dabei: KoKo sei eine Art Geheimbund zum Ausverkauf der DDR und zur Bereicherung einiger weniger Personen gewesen und basta.
Er hat damit objektiv unrecht, weil er politisch falsch liegt. Und subjektiv erst recht, weil er seinen einstigen Genossen kriminelle Energie unterstellte, die diese nicht besaßen.
Richtig ist, und dessen war und ist sich auch der Unternehmer Schalck-Golodkowski bewusst: Unternehmerisch zu handeln, bedeutet immer, eine Wette auf die Zukunft abzuschließen. Dieser Grundsatz galt zu allen Zeiten und in allen Systemen, er ist ideologiefrei. Und offenbart in seiner Negation den entscheidenden Webfehler des Sozialismus sowjetischer Prägung: zu glauben, dass die Politik alle Gesetze des Marktes außer Kraft setzen könne. Dieser Denkfehler ist vergleichbar dem im Kapitalismus bewusst genährten Irrglauben, dass die Politik das Primat gegenüber der Ökonomie besäße, also dass die (gewählte) Regierung der Wirtschaft vorschreiben könne, was sie zu tun oder zu lassen habe.
Die Wette auf die Zukunft, es vielleicht doch zu schaffen, schließt das Risiko des Scheiterns mit ein.
Wie sich zeigt, ruinierten auf Dauer die Anstrengungen von Schalck und KoKo, Devisen zur Existenzsicherung der DDR beschaffen zu müssen, die Wirtschaft der DDR. Das geschah jedoch nicht aus subjektiver Kurzsichtigkeit oder gar Vorsatz, sondern war den wachsenden Verbindlichkeiten und der Zinsbelastung geschuldet. Aufgrund der notwendigen Ausfuhren von Waren, die zu Dumping-und meist unter Herstellungskosten verschleudert wurden einzig zu dem Zweck, Devisen um jeden Preis in des Wortes eigentlicher Bedeutung zu erwirtschaften, ging der Binnenmarkt der DDR kaputt. Nicht ausschließlich deshalb, aber eben auch. Mit der Verschleuderung des Volksvermögens der DDR wurde der Wohlstand im Westen finanziert, keineswegs aus freien Stücken oder aus eigener Unfähigkeit, sondern gezwungenermaßen. Und auch weil der Generalsekretär an seinem Programm der Einheit von Wirtschafts-und Sozialpolitik inklusive Subventionen stoisch festhielt.
Von diesem Ausverkauf profitierten beispielsweise Versandhäuser wie Quelle – die folgerichtig pleite gingen, als die DDR nicht mehr lieferte, weil es sie nicht mehr gab. Ganze Staaten gerieten in die Knie, weil der Sozialismus und die DDR sich verflüchtigten. Griechenland bezog von der DDR Industriewaren, sie lieferte die U-Bahn für Athen und installierte das Telefonnetz des Landes – dafür zahlte der Agrarstaat mit dem, was er produzierte: mit Oliven und Öl, mit Käse und Korinthen, die westliche Industrieunternehmen wie etwa Siemens sich weigerten, in Zahlung zu nehmen. Schalck hingegen verkaufte diese Waren in den Westen und erwirtschaftete auf diese Weise jene Mittel, die auch die Griechen nicht besaßen: harte Währung. Später, nach 1990, kriegten die Griechen sie nur noch in Gestalt von Krediten und landeten dort, wo sie heute sind.
Oder als in den 70er Jahren die Nelkenrevolution in Portugal siegte, das Kolonialreich zusammenbrach, von dem das Mutterland bis dahin gelebt hatte, und die »Gefahr« bestand, das aus dem NATO-Staat, in welchem bis dahin eine faschistische Diktatur geherrscht hatte, plötzlich ein antifaschistisch-demokratischer, gar ein sozialistischer Staat werden könnte – etwa
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