Schalck-Golodkowski: Der Mann, der die DDR retten wollte (German Edition)
analog der Nachkriegsentwicklung im Osten Deutschlands –, da läuteten in allen Hauptstädten des Westens die Alarmglocken. Allen voran die Bundesrepublik und die dort herrschende SPD. Willy Brandt als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale (SI) intervenierte persönlich und sorgte dafür, das mit politischem Druck und viel Geld die Sozialistische Partei Portugals aus dem Block der revolutionären Kräfte ausscherte, deren Chef Soares Ministerpräsident wurde und die bereits eingeleiteten Verstaatlichungen der Banken und Konzerne sowie die Landreform rückgängig gemacht wurden. Es wurden viele Kredite aus Westeuropa ins Land gepumpt, um Portugal nicht rückfällig und anfällig für sozialistische Ideen zu machen. Diese Gefahr erledigte sich nach 1990. Seither fordert die Europäische Union, wollen deren Banken das Lissabon aufgedrängte Geld nebst Zins und Zinseszins zurück. Auch Portugal also ist, nüchtern betrachtet, ein Opfer der Spätfolgen des Untergangs des Sozialismus in Europa.
Was wäre gewesen, wenn die DDR 1989 mit gleichem Durchsetzungsvermögen wie die sogenannten Kreditgeber in der EU heute ihre unfreiwillig gewährten Darlehen aus der Bundesrepublik zurückgefordert hätten?
Schalck sprach im November 1989 mit Bezug auf Berechnungen des Bremer Wirtschaftsprofessors Arno Peters von 727 Milliarden D-Mark, die die BRD der DDR aus den bekannten Gründen schulde; die Zinsen und Zinseszinsen hatten in vier Jahrzehnten die Forderungen derart wachsen lassen. Weil die Bundesrepublik nicht zahlte, natürlich nicht, musste die DDR stattdessen Jahr um Jahr selber Kredite aufnehmen, in den 80er Jahren waren das acht bis zehn Milliarden D-Mark per anno, die bei etwa 400 Banken mobilisiert werden mussten.
Schalck und Afrika
Die »Politik der Hauptaufgabe« mit ihren Subventionen, das Wohnungsbauprogramm und der Aufbau einer eigenen weltmarktfähigen Mikroelektronik-Industrie verschlingen Milliarden. Objektive Zwänge und politische Fehlentscheidungen lassen den Finanzbedarf und damit den Druck auf Schalck stetig wachsen, strukturelle und aktuelle Defizite der DDR-Wirtschaft mit bisweilen waghalsigen Geschäften zu kompensieren.
Das führt auch zu einem politisch verordneten Engagement des Bereiches Kommerzielle Koordinierung in Afrika, insbesondere in den ehemaligen portugiesischen Kolonien Angola und Mocambique sowie Äthiopien, was nach Schalcks eigenem Bekunden nicht sein Terrain ist. Doch er ist überzeugter Internationalist, die Großzügigkeit, mit der er Menschen begegnet, dehnt er auf ganze Staaten aus. In seinem Büro steht beispielsweise ein Schuhkarton, in welchem Armbanduhren liegen, für die sich in Wandlitz, obgleich dort bestellt, kein Interessent fand. Brauchst du eine Uhr, fragte er Besucher gelegentlich am Ende des Gesprächs, dann such dir eine aus.
Sein Angebot resultierte nicht etwa aus jovialer Herablassung oder mit dem Vorsatz, sich der Gefolgschaft des Beschenkten zu versichern, nicht aus Berechnung, sondern aus dem schlichten Bedürfnis, jemandem eine Freude zu machen. Schalck kennt keine Gutsherrenmentalität, Winkelzüge sind ihm fremd, er ist direkt und unmissverständlich in seinen Reaktionen und Ansagen, auf der privaten Ebene wie auf der großen politischen Bühne. Das spüren auch die Gesprächspartner auf der anderen Seite.
Nun also Afrika.
Den Anstoß dazu gibt Politbüromitglied Werner Lamberz. Der gelernte Heizungsbauer, Sohn eines Maurers aus Mayen in der Eifel, ist nicht nur hochintelligent und polyglott, sondern auch weltläufig. In den 50er Jahren gehörte er der Führung des Weltbundes der demokratischen Jugend in Budapest an, aus jener Zeit rühren auch viele Kontakte. Reisen durch junge Nationalstaaten Afrikas in den 70er Jahren machen Honeckers Sonderbotschafter bewusst, dass Solidarität Phrase bleibt, wenn sie nicht materiell untersetzt ist. Die materielle Decke der DDR ist aber ziemlich kurz, die Hilfe zur Selbsthilfe beschränkt sich zumeist auf Berater und Freundschaftsbrigaden, die vor Ort an einigen Projekten arbeiten.
Auf der anderen Seite gibt es in Angola und Mocambique Rohstoffe, die, sofern erschlossen, als Äquivalent für eine wirtschaftliche Unterstützung genommen werden können. Und in Äthiopien wächst Kaffee, dessen Beschaffung für die DDR ein Riesenproblem darstellt. Müsste die DDR auch noch jene Menge auf dem Weltmarkt kaufen, die mit den »Westpaketen« ins Land kommen, wäre es noch größer. Bis zu einem Viertel des in der
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