Schalmeienklänge
mich zu. Sie trugen Rüstungen, und an ihren harten Gesichtern war abzulesen, daß ihnen die Aufgabe zuwider war, eine Seelenjägerin zu schützen und zu geleiten. Rofdal hatte recht gehabt – ich durfte nicht im Palast bleiben. Jeden Augenblick konnten die erschöpften Überlebenden mich für ihre Trauer verantwortlich machen. Die meisten derer, die wußten, was ich getan hatte, waren inzwischen tot, aber nicht alle.
Die Soldaten bildeten einen Kreis um mich, und ihr Schweigen hob sich grell von den durch den Palast ziehenden Schreien ab. Am Ende des Korridors zu den königlichen Gemächern blieb ich stehen. Sie hielten ebenfalls an: Keiner wollte mit mir in Berührung kommen.
»Ich muß mit einem Mann sprechen, ehe ich gehe. Es betrifft Lord Brant. Ich habe die Genehmigung des Königs dafür.«
Keiner gab mir Antwort.
»Es handelt sich um den Junker von Mylord. Oder…«, fügte ich plötzlich hinzu, als mich Übelkeit bei dem Gedanken erfaßte, der Knappe könnte vielleicht tot sein. Schließlich wußte ich bei so vielen Toten nicht, wer noch am Leben war… »irgendeinen seiner Stallknechte.«
Noch immer keine Reaktion. Ich deutete auf den schlanksten der Wachsoldaten und erkannte erst in diesem Augenblick, daß es Rog war. In seinem jungen Gesicht stand eine kalte Feindseligkeit, deren ich ihn nicht für fähig gehalten hätte, aber ich erkannte auch an seinem Blick, daß er sich an unsere Begegnung vor dem Kinderzimmer des Prinzen erinnerte.
»Du. Hol mir Lord Brants Junker oder seinen Stallknecht. Sag ihm, daß es um Mylords Leben geht.«
Er ging. Die anderen rührten sich nicht, faßten mich nicht an und sahen mich nicht an. Ich dachte, daß ich mich eigentlich fürchten müßte, aber Körper und Geist waren gleichermaßen zu erschöpft, um Furcht zu entwickeln.
Als der Junker mit sauberer Bluse und unversehrt vor mich trat, nachdem er polternd die Stufen emporgerannt war, erklärte ich ihm, wo er Brant fände und welcher Arzt ihn behandeln müßte, falls er noch lebte. Die vier Wachsoldaten hörten ungerührt zu; es war nichts zu machen, sie würden nicht mehr tun als ihre Pflicht. Ich dachte noch, daß es Brants Stellung in Veliano nicht gerade zuträglich war, daß sie sich meiner Sorge um ihn bewußt wurden, aber auch daran war nichts zu ändern.
Die Männer führten mich vom Schloß zu den Ställen neben dem Tor nicht über den zentralen Schloßhof, wo die Schlacht am schlimmsten getobt hatte. Ich war dankbar, obgleich es wohl nicht aus Freundlichkeit geschah. Vielleicht wollten sie nicht ihre ermordeten Kameraden sehen. Vielleicht war es das Entsetzen vor mir: der Seelenjägerin, Königinmörderin und Zauberin. Oder vielleicht hatte der König es angeordnet.
Wir ritten zu einer Handelskarawane, die auf der anderen Seite der Siedlung lagerte. Bei meinem Schwindelgefühl, der Erschöpfung und Übelkeit konnte ich mich kaum im Sattel halten. Was die Männer des Königs dem Karawanenführer sagten und welche Velianoedelsteine den Besitzer wechselten, weiß ich nicht. Eine Frau führte mich zu einem derben Zelt, ich kroch hinein und schlief ein.
Das letzte, was ich hörte, waren die Pferde der sechs Männer, die zum Palast zurückgaloppierten. Das letzte, was ich vor mir sah, ehe der Schlaf der Erschöpfung mich übermannte, war das Gesicht des toten Pagen in der Kapelle des Königs: mit offenen blauen Augen, blutverschmierten, dünnen Armen und einem so kindlich plumpen und glatten Gesicht wie das meines Sohnes Jorry.
*
Ich erwachte von wohlgelaunten Rufen und Flüchen hinter dem Zelt. Eine Frau kauerte neben mir und rüttelte mich bei den Schultern. »Steh jetzt auf, Geschichtenspielerin, wir brechen in einer Stunde auf, und das Zelt muß noch abgebaut werden. Komm jetzt, wach auf.«
Mit schmerzenden Gliedern setzte ich mich auf. »Hier, dein Frühstück. Könntest du es im Freien essen? Das Zelt muß gepackt werden.«
Ich stolperte ihr hinterdrein. Rings umher brachen Zelte zusammen und wurden geschnürt, Männer brüllten, Pferde scheuten, Kochfeuer zischten, als sie gelöscht wurden: lauter Geräusche einer Handelskarawane, die ihr Lager abbricht, wie sie mir seit Jahren vertraut waren und die hier in Veliano so entstellt wirkten wie ein Gesunder zwischen lauter Skrofulösen.
»Du siehst aus, als könntest du das brauchen«, wandte sich die Frau an mich und reichte mir einen Holzteller mit trockenem Brot, frischen Beeren und ein wenig vom vorangegangenen Abend aufgewärmtem
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