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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Dienste ihrer unterschiedlichen Geschichten geraten war.
    Kein Wunder, daß Ard Brant nicht hatte sagen können, wo sie die Schalmeien versteckt hatte. Ihr Gebrauch hatte der Benutzerin bald alles Sprechvermögen, alle Erinnerungen geraubt, bis ihr Denken selbst so wortlos und unmittelbar war wie die Musik selbst. Und am Ende legte Ard sich zu ihren Schweinen, deren wortlose Psyche so geschichtenleer wie die ihre geworden war. Die Schweine mußten für sie Trost gewesen sein.
    Das Pulver unter meinen Händen kühlte ab. Nachdem meine Kraft schlagartig aufgezehrt war, kroch ich auf Händen und Knien über die zerschmetterten Schalmeien, vorbei an den reglosen Leichnamen, hin zu dem jammernden Kind und nahm es hoch. Durch meine Berührung beruhigte der Junge sich ein wenig, und noch mehr, als ich ihn an meine Schulter lehnte und seinen Rücken streichelte, während ich selbst mit dem Rücken an die Wand sackte. Er fühlte sich feucht und fest in meinen Armen an, ein kleines, stämmiges Bündel warmen Lebens. Er würde den kräftigen Körperbau seines Vaters bekommen. Ich verlagerte sein Gewicht ein wenig und breitete meine Hände auf seinen warmen Rücken.
    So saßen wir beide, bis das Gebrüll und Geschrei erstarb und das Blutbad, das ich ausgelöst hatte, vorüber war.

 
12
     
     
    Der erste, der in die Kapelle zurückkehrte, war Rofdal – nicht um nach mir zu sehen, sondern nach seinem Erben. Ich hörte seinen lauten Schritt im Schlafzimmer, und dann stand er riesig über mir; in seinem Gesicht tobte immer noch der Zorn, sein Bart und seine Kleider waren blutbesudelt.
    »Gib ihn mir!«
    Ich streckte ihm das schlafende Kind hin, doch gleichzeitig schauderte mir, und Rofdal bemerkte es. Er ließ die Arme sinken.
    »Nein. Du hast recht, Geschichtenspielerin. Es ist nicht gut, wenn ich ihn an das Blut seiner Mutter drücke. Diener! Wachen!« Sein Brüllen ließ sie schnell herbeilaufen. Doch als sie vor ihm standen, winkte er sie alle wieder hinaus, nachdem er mir von einer Frau – ich kannte sie nicht – hatte das Kind vom Arm nehmen lassen. Schwach und mit ein wenig Schwindelgefühl wankte ich auf die Beine und stellte mich dem König.
    Er sagte: »Die Toten liegen kniehoch im Schloßhof.«
    »Euer Gnaden… hätte ich eine andere Möglichkeit gefunden…«
    »Du bist eine Seelenjägerin«, erklärte Rofdal. »Ob freiwillig oder nicht, dies alles ist dein Werk. Nein, schau nicht so furchtsam drein«, fuhr er gereizt fort, er, der Furcht erwartete, »ich werde deine Begnadigung nicht rückgängig machen. Aber du mußt Veliano verlassen und darfst niemals wiederkehren.«
    »Und Lord Brant…«
    »Ist höchstwahrscheinlich unschuldig.« Er blickte finster drein.
    »Seine Festnahme…«
    Aber der König interessierte sich nicht für Brant. Er fügte hinzu, als er sich bereits zum Gehen wandte: »Brant kann in Veliano bleiben oder nicht, ganz wie er will. Aber du wirst gehen.«
    »Ja, Euer Gnaden!«
    Er hatte die Kapelle bereits halb durchquert, wo Leute sich ängstlich in den Türrahmen drängten, um ihn zu sprechen, und Wehklagen sich jenseits erhob, als er sich noch einmal zu mir umdrehte. Ich sah den Widerwillen in seinen Schultern und wie langsam er sich drehte.
    »Davon wirst du wohl eine Geschichte für die Silberstädte machen.«
    »Ich würde niemals…«
    »Doch. Du wirst es zu irgendeinem Märchen zwischen deinen Händen gestalten oder einer Harfnerin erzählen, damit sie eine Ballade daraus macht.«
    »Nein. Das werde ich nicht. Ich gebe Euch mein Wort, Euer Gnaden.«
    Er schaute mich an, als wäre mein Wort nicht von hohem Wert. Vielleicht hatte er recht, aber in diesem Punkt nicht. Und dann erfolgte ein letztes Aufflackern jener Aufmerksamkeit, die ihn bei seinen gemeinen Untertanen so beliebt machte und die ein so unerklärlicher Teil seines autokratischen Stolzes war: »Du bist erschöpft. Aber du kannst nicht im Schloß bleiben unter meinen Leuten, die ihre Toten betrauern. Ich werde dich von Soldaten zu einer Handelskarawane bringen lassen.«
    »Ja, Euer Gnaden. Ich danke Euch, Euer…« Schon war er fort. Als er die Gemächer verließ, strömten andere, die draußen gewartet hatten, herein: Soldaten, um die Leichen der Gefallenen hinauszuschaffen, wehklagende Frauen, Durcheinander und Lärm. Das Schloß von Veliano trauerte unter Klagen und Tränen, und auch das war mein Werk: meines, Leonores und Brants.
    Den Leichnam der Königin hatte man weggebracht. Auf dem Gang traten vier Wachsoldaten auf

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