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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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Fleisch. Die Frau war im gleichen Alter wie ich, nur größer, trug derbe Kleidung für die Reise, hatte lange, helle Zöpfe und ein wetterzerfurchtes Gesicht. Ich sah, daß ihre Freundlichkeit von Herzen und nicht aus der Erkenntnis kam, daß wir von unterschiedlichem Stand waren. Und sie hatte auch den schnellen Blick des Schauspielers oder Diebes.
    Sie bemerkte, daß ich sie auf die benommene und verzweifelte Weise beobachtete, die von den Ereignissen der letzten paar Tage herrührte, und war mir deshalb nicht gram.
    »Ich bin die Harfnerin Aralet und reise mit Nishel. Er führt diese Karawane.« Ihr Stolz – der eine gewisse Selbstironie und Unbeschwertheit aufwies – und ihre offene Freundlichkeit erweckten in mir den Eindruck, als kannte ich ihr ganzes Leben. Als umherziehende Harfnerin, die zu sehr aus den Städten und den Unterschichten der Städte stammte, um vieles sehr ernst zu nehmen, besaß sie niemals große Reichtümer, aber vermißte sie auch nicht und lebte wohlgemut mal mit diesem, mal mit jenem Mann. Außer ihrem fehlenden Mißtrauen war sie wohl wie ich zum Zeitpunkt meiner Ankunft in Veliano.
    »Ich bin Fia.«
    »Du siehst aus, als hättest du eine dornenreiche Zeit in diesem hinterwäldlerischen Königreich hinter dich gebracht, Fia.«
    »Ja«, antwortete ich.
    »Blödes Publikum? Schlechte Einnahmen?«
    »Das auch«, wich ich aus, zupfte ein Stück Fleisch mit den Fingern ab und steckte es in den Mund. Sowie es meine Zunge berührte, bekam ich einen Bärenhunger.
    Aralet hatte das sensible Ohr einer Harfnerin; sie drängte mich nicht, mehr zu sagen. Mit einem freundlichen Nicken marschierte sie auf mein Zelt zu, das nun zusammengeklappt neben einem Mädchen lag, das mit den schweren Falten kämpfte, und ich setzte mich auf den Boden und stopfte mir das Essen in den Mund. Als Aralet ein paar Schritte entfernt war, drehte sie sich um und schnippte mit den Fingern.
    »Beinahe hätte ich es vergessen. Seit Sonnenaufgang wartet ein Kurier auf dich. Ein Kurier vom Palast.«
    »Wo? Oh, wo?«
    Sie musterte mich neugierig. »Dort drüben sitzt er, neben dem gescheckten Wallach.«
    Es war Brants Junker, der da mit erschöpftem Blick und vom Wald beschmutzter Bluse saß.
    »Geschichtenspielerin, ich bringe dir Nachricht von Lord Brant. Er lebt.« Der Junker schaute mich gelassen an, und ich las in seinem Gesicht, was zu sehen ich gestern zu müde gewesen war: Das war einer von Brants Vertrauten, vielleicht einer, der sich selbst auf die Bewußtseinskünste verstand, vielleicht einer von denen, durch die er mich gewaltsam aus Veliano hätte schaffen lassen, wenn Leonore nicht vorher andere Befehle erteilt hätte. Ich fragte mich, ob er aus diesem Grund selbst kam, anstatt einen Boten zu schicken, oder weil kein beliebiger Kurier freiwillig zu einer Seelenjägerin und Verbannten reiten wollte.
    »Der Arzt… was sagte denn der Arzt?«
    »Mylord wird sich erholen, bis auf den rechten Arm. Muskel und Knochen sind gleichermaßen schlimm geschädigt.«
    »Und wenn die Entzündung sich ausbreitet…«
    »Der Arzt nimmt es nicht an.«
    »Wo liegt Lord Brant jetzt?«
    »Im Schloß. Mylady Cynda pflegt ihn.«
    Das hätte ich mir natürlich denken können – aber ich hatte es nicht. Langsamer fragte ich: »Läßt er mir etwas ausrichten?«
    »Er kann nicht. Er hat noch ziemlich hohes Fieber.«
    »Spricht er… in seinem Delirium?« Ich wollte fragen: Sagt er irgend etwas, das ihm schaden könnte oder was er seiner Frau lieber nicht anvertrauen sollte? Erzählt er ihr von meinem Sohn und wo er sich aufhält?
    Der Junker wußte, was ich dachte. »Nein. Er murmelt im Fieber vor sich hin, das schon, aber vor allem Dinge aus seiner Kindheit. Und einer von uns…«, er verlieh dem Wort eine gewisse Betonung, »von seinen Leuten hält sich stets in der Nähe auf. Er darf sich nicht bewegen wegen des verwundeten Arms.«
    »Ja«, antwortete ich und konnte auch nicht mehr sagen. Zu viele wortlose Bilder drängten sich vor mein inneres Auge: Brant, der in der Hütte auf mich zukroch, Cynda wieder bei Sinnen und ihren Ehemann pflegend, der Blutschwall von Leonores Kehle, als ihr Mann sie ihr durchschnitt, und die blauen Augen des toten Pagen.
    Der Junker wartete noch einen Augenblick, nickte knapp und bestieg sein Pferd. Törichterweise dachte ich, wie eben manchmal törichte Gedanken den einzigen Ausweg von Kummer bieten, daß seine Stiefel wieder einmal geputzt werden müßten.
    Aralet war aufmerksam genug, erst von hinten

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