Schalmeienklänge
Gestalten der Geschichte diskutieren, die ich nicht geschaffen hatte, und Jorry in Gefangenschaft. Ich fühlte das Seil um meine Knöchel, spürte den widerlichen Ruck, als man mich kopfüber nach oben zerrte und sah das Messer blitzen, ehe es unausweichlich und ohne die geringste Hoffnung auf Flucht mein Fleisch aufschlitzte. Ich hörte meinen ersten, qualvollen Schrei, als das Messer zustieß und sah Jorrys gelähmte Züge, den man herbeigeschleppt hatte, damit er im Kreise der Harfner zusah. Würde Brant mich erst schnell sterben lassen, Brant, der die Geschichte zwischen meinen Händen geschaffen und mich so der Gefahr ausgesetzt hatte?
Mein Entsetzen muß auf meinem Gesicht gestanden haben und hat vielleicht zu Rofdals Urteil beigetragen. Sein Blick musterte mich, und wieder sah ich, was ich schon am Abend zuvor erkannt hatte: einen Mann, der so sehr daran gewöhnt ist, das Gesetz zu verkörpern, daß er Widerstand nur erkennen würde, wenn die Beweise erdrückend wären, und dann auch nur mit fassungslosem Zorn. In Veliano war er der Löwe, neben dem Mäuse zwar ein Ärgernis, aber kaum eine Gefahr darstellen konnten. Und dieser Selbstzufriedenheit und nicht irgendwelcher Gnade verdankte ich mein Leben.
»Sie ist nur eine Geschichtenspielerin«, verkündete er dem Hof.
»Eine Harfnerin ohne Worte. Den Harfnern wurde befohlen, die Häutungen zu besingen; nichts anderes hat sie getan.« Er schaute mich an. »Aber nicht an meinem Hofe und nicht dargeboten zu meiner Unterhaltung.«
»Nein, Euer Gnaden.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich sehe nichts, was ihr zur Last zu legen wäre. Laßt sie anderswo in Veliano fernab vom Palast auftreten, bis die Karawane wieder aufbricht. Die Bauern sollen nicht wegen der Schrullen von Frauen um ihre Unterhaltung gebracht werden.«
»Ich danke Euch, mein König.«
Rofdal schien überrascht, daß ich immer noch da war, klatschte in die Hände und verlangte Musik und Tanz. Sogleich verschwand der Tisch vor mir, Musikanten traten auf, Lauten erklangen. Aber ich konnte mich nicht so schnell von der Stelle rühren. Zu großes Entsetzen hatte ich empfunden, zu große Verwunderung. Nur meine Augen wanderten umher, drehten sich wild in meinem Kopf und waren völlig außer Kontrolle. Ich versuchte, wieder Gewalt über sie zu bekommen; es wollte mir nicht gelingen. Sie sahen die kleinen gehäuteten Gestalten in meiner Geschichte, sahen Leonores gräßliches Lächeln, sahen die Männer und Frauen des Hofes in ihrem seidenen Putz, der niemals von Veliano stammte, wie sie in der Mitte des Saales die Tanzfiguren bildeten. Die Mitte des Saales… dann hatte ich mich bewegt, meine Beine hatten mich zum Vorraum getragen. Ich stand neben den Teppichen, unfähig weiterzugehen, und meine Augen suchten. Sie suchten weiter. Sie wollten gar nicht aufhören zu suchen.
Da war wieder die Geschichte; meine Augen suchten, und ich wußte nicht wonach.
Sie fanden Brant.
Auch er hatte sich nicht von der Stelle gerührt. Er stand wie erstarrt mit angespanntem, bleichem Gesicht, und seine blauen Augen wirkten einen Augenblick lang so fassungslos und erschreckt wie meine eigenen. Etwas hatte ihn ebenso erschüttert wie mich der Augenblick des Entsetzens. Dann schwenkte sein Blick zu mir, und diesem Blick entnahm ich plötzlich, daß nicht er es gewesen war, der in mein Denken eingedrungen war und die Geschichte zwischen meinen Händen geschaffen hatte, daß nicht er Jorry und mich in Lebensgefahr gebracht hatte. Er war ebenso überrascht wie ich. Ich sah Verwunderung, Furcht und Zorn in seinem Gesicht und etwas anderes – etwas, das meine eigene Bewegungsunfähigkeit aufhob und meine Knie wieder in Gang setzte.
Brant hatte Angst um mich gehabt.
Das zu glauben widersprach der Vernunft. Aber es entsprach der Wahrheit.
Aus den Vorhängen schoß eine Hand hervor, packte meinen Arm und zog mich nach hinten. Jorry. Ich sah sein kleines, erschrecktes Gesicht in der Umrahmung des Vorhangs und trat zu ihm nach hinten. Doch mein Blick sprang zurück zu Brant.
Er kam zu spät. In der Zeit, da ich mich zu Jorry hinabgebeugt, hatte Brant sich wieder in die Gewalt bekommen. Er schritt auf die Tanzenden zu, und sein Gesicht war gefaßt: ein bißchen blaß, aber kühl und höflich. Hätte ich ihn zu diesem Zeitpunkt erst gesehen, hätte ich voller Haß und Schmerz weiterhin geglaubt, daß er die gefährliche Geschichte geschaffen und mit meinem Leben gespielt hatte.
Wer aber war es dann gewesen?
»Ich will
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