Schalmeienklänge
ihren Kopf geschmiegt lag, zarten, jungen Gesichtszügen und einem dunklen, schmucklosen Kleid von wechselndem Glanz. Neben der gelben Pracht Rofdals wirkte sie wie ein kleiner, dunkler, außergewöhnlich regloser Zaunkönig.
Ich blickte auf den Tisch, konzentrierte mich und spreizte die Hände.
Rasch bildete sich der pinkfarbene Nebel – zu rasch, wie es mir vorkam –, und er war außergewöhnlich dicht. Er kreiste, verdichtete sich und begann, Figuren zu bilden. Eine, zwei…, drei. Ich erkannte keine von ihnen.
Das Publikum konnte das natürlich nicht wissen. Der Hof nahm an, daß es sich hierbei um meine Geschichte handelte und beobachtete den Mann und die Frau, die grobe Blusen, aber juwelenbesetzte Ringe und Goldspangen trugen, und wie sich die winzigen Gestalten über den Tisch bewegten. Sie gingen langsam mit angespannten Gesichtern, beobachteten die Straße zu ihren Füßen, den Himmel über und die Gegend vor sich. Es war eindeutig, daß sie etwas suchten. Manchmal kamen sie nur mühsam voran, als kletterten sie über schwieriges Gelände; manchmal sanken sie erschöpft nieder.
Der Riesentöter? Konnte es sich um das Volksmärchen vom armen Riesentöter handeln, dem unerklärlicherweise eine Schwester beigegeben worden war und ein Riese fehlte?
Ich wußte, daß es nicht der Riesentöter war. Diese beiden suchten nach etwas viel Kleinerem, viel Versteckterem als einem Riesen. Die dritte Gestalt mit Umhang und Kapuze, daß weder ihr Alter noch ihr Geschlecht zu erraten war, verharrte reglos in der Tischmitte.
Die beiden Figuren suchten weiter. Die Zuschauer, die anfänglich sehr gespannt auf das Neue waren, wurden ungeduldig und schließlich unruhig. Rofdal rutschte mit seinem massigen Körper in seinem Sessel hin und her. Gemurmel kam auf; eine Frau aus der Menge kicherte.
Die Figuren begannen verzweifelter zu suchen, jedoch immer noch ergebnislos. Minuten zogen sich dahin. Ich verstand nicht: Das war keine Geschichte aus meinem Denken, oder wenn, dann eine, die ich bis jetzt nicht an die Oberfläche gezogen hatte. Vorsichtig versuchte ich, die Frauengestalt ihre Suche beenden und stillstehen zu lassen. Aber jeder noch so kleine Eingriff kann riskant sein: Beginnt man eine Erzählgestalt willentlich zu lenken, so verschwindet sie in den meisten Fällen allmählich. Aber ich mußte etwas unternehmen: Diese flüchtige Suche war alles andere als eine Geschichte. Vorsichtig konzentrierte ich mich auf die Frau und versuchte, sie zum Stehenbleiben zu bringen.
Sie suchte weiter.
Rücksichtsloser entwarf ich nun das Bild, wie sie stolperte und aufs Gesicht fiel.
Sie suchte weiter.
Erschreckt über meinen völligen Mangel an Gewalt über sie stellte ich mir eine drastischere Geschichte vor: Sie zog einen Dolch und rammte ihn ihrem männlichen Begleiter in den Leib. Ich stellte mir vor, wie Blut spritzte und er zu einem lautlosen Schrei den Mund aufriß.
Unbeirrt suchte sie weiter.
Ich malte mir aus, wie sie sich nackt auszog, auf ihren Begleiter stürzte, die Beine um ihn schlang, ihm ihre Brüste ins Gesicht rieb und ihre eigenen Züge vor Leidenschaft verzerrt waren. Schweiß trat mir auf Gesicht und Nacken. Ich stellte mir vor, wie sie sich mit ihm am Boden wälzte, ihm mit den Fingernägeln lange rote Striemen über den Rücken kratzte und sich rittlings auf ihn setzte, wo er lag.
Sie wollte nichts dergleichen. Sie suchte weiter.
Mein Publikum begann zu spötteln. Ich konnte nicht hochsehen in ihre Gesichter, doch ich hörte geflüsterte Verhöhnungen, die verächtliche Unruhe. Jemand lachte.
Dann hob die Gestalt im Umhang auf der Mitte des Tisches langsam ihren Arm. »Cul, endlich«, spottete eine Frau. Doch sogleich verstummte das Publikum. Der langsam erhobene Arm hatte gleichzeitig etwas Gebieterisches an sich, so winzig und lautlos er auch war. Und als er völlig erhoben war, konnte man erkennen, daß er etwas in der geschlossenen Hand hielt.
Die beiden Gestalten am Rande des Tisches verharrten reglos.
Nun herrschte absolute Stille im Großen Saal. Keiner rührte sich außer Rofdal, der sich nach vorne beugte, um den glänzenden Gegenstand in der Hand der umhangbekleideten Gestalt besser zu sehen. Doch er war schwer zu erkennen. Man konnte nur schwerlich sicher sein, daß es sich überhaupt um einen Gegenstand handelte, denn er schien von einem weißen Strahlenkranz umgeben, der nicht nur seine Umrisse, sondern auch die der Hand, die ihn hielt, verschwimmen ließ. Und doch schien sich in
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