Schalmeienklänge
der undeutlichen Hand mehr als nur Licht zu befinden.
Der winzige Mann und die winzige Frau traten zur Mitte des Tisches. Zum ersten Mal trugen ihre Gesichter einen deutlichen Ausdruck: Beflissenheit, Habgier und eine unselige Freude. Die Frau streckte die Hand aus und berührte das schwer deutbare Objekt. In diesem Augenblick ereignete sich auf dem Tisch etwas, das beim Geschichtenspielen noch niemals dagewesen war: Explosionsartig änderte sich die Szene ohne pinkfarbene, nebelhafte Übergänge, ohne daß die erste Szene allmählich verblaßt wäre. An ihrer Stelle stand ein neues Tableau: Aus der umhangbekleideten Gestalt war ein klebriges Etwas von brauner Kutte geworden, die Frauengestalt stand triumphierend da mit dem seines Lichts beraubten Gegenstand in der Hand, und die Männergestalt hing entkleidet und gehäutet kopfüber an einem Galgen.
Dann verschwand das gesamte Bild, und Königin Leonore schrie schmerzerfüllt auf.
Sie schrie nur einmal und faßte nach ihrem Bauch. Ihre Kammerfrauen sprangen zu ihr, einige ebenfalls unter Schreien. Ein Wachsoldat packte meine Arme und riß sie auf meinen Rücken. Rofdal sprang auf die Beine, bebte vor Zorn und wollte auf mich zu stürzen.
»Nein, nein«, keuchte die Königin. »Nein. Sie… sie hat keine Schuld.«
Auf ihren leidenschaftslosen und undeutlichen Protest blieb Rofdal stehen.
Leonore schien mühsam zu ringen, sich wieder in die Gewalt zu bekommen. Sie schickte ihre Damen mit einer Handbewegung fort und legte ihre eigenen zitternden Hände auf die gewaltige Wölbung ihres Bauches.
»Es ist noch nicht an der Zeit«, brüllte Rofdal, und es war ein Zwischending zwischen Befehl und Aufschrei vor Furcht, seinen Erben zu verlieren.
»Nein«, rief Leonore. Sie blieb völlig reglos sitzen. Ich kannte diesen Blick, kannte ihn aus eigener Erfahrung: eine Frau, die versucht, das Leben innerhalb ihres Körpers zu erkunden. Bewegt es sich noch? Ist alles in Ordnung? Ist die Zeit gekommen, der Beginn jener Prüfung von Blut und Hoffnung?
Noch nicht.
»Nein«, wiederholte Leonore an Rofdal gewandt. »Es ist noch nicht an der Zeit. Die Wehen setzen noch nicht ein. Es war nur der Schreck, Mylord, der Schreck, diese… diese Widerwärtigkeit zu sehen. Die Häutung. Mehr nicht… nur die alberne Empfindlichkeit einer schwangeren Frau.« Und sie lächelte ihrem Ehemann zu.
Ich habe viele Arten von Lächeln erlebt, aber niemals zuvor oder danach eines wie dieses. Es war das Lächeln eines Hundehalters, ehe er den Hund von der Leine läßt, damit der in der Grube um sein Leben kämpft. Er hat mit dem Hund zusammengelebt, unzählige Stunden zugebracht, seine Besonderheiten und Gewohnheiten kennenzulernen, ihn am Leben gehalten, seinen Atem im Schlaf im Gesicht ertragen und vielleicht selbst Verletzungen bei der Ausbildung des Hundes zu Scheinangriff oder Attacke riskiert. Und er schickt den Hund zum Töten oder Zerrissenwerden mit der gleichen grimmigen und wohlwollenden Gelassenheit, wie sie in Leonores Lächeln zu ihrem Ehemann, dem König, lag.
»Nichts?« meinte Rofdal. »Du hast vor Schmerzen aufgeschrien.«
»Nein, nein. Nur vor Schreck. Die Geschichtenspielerin hat uns starke Unterhaltung präsentiert.« Sie lächelte mich in einer Art an, daß mir ein kalter Schauer über den Nacken lief.
»Laß sie los – sie ist nicht bewaffnet«, befahl Rofdal ungeduldig. Er wandte den Blick von mir zu Leonore, und ich sah, wie Groll seine Züge umwölkte, weil er so heftig auf etwas reagiert hatte, was letztendlich nur eine Angelegenheit von Ärzten und Frauen war. Als sein Blick wieder auf mir ruhte und mit ihm sein männlicher Groll, blieb ich im engen Kreis der Wachen reglos stehen. Sie hatten mich losgelassen, standen aber so nahe, daß ich ihre ledernen Brustschilde und ihren Schweiß riechen konnte.
»Geschichtenspielerin«, sagte der König, »du hast eine klägliche Auswahl an Unterhaltung getroffen. Das Schinden ist als Todesart in Veliano den Seelenjägern vorbehalten. Es ist kein Stoff für den Spott der Harfner.«
»Und ich würde niemals meinen Spott damit treiben, Mylord König!«
Rofdal antwortete nicht. Er trat einen Schritt näher, ein gewaltiger gelber Berg schob sich auf mich zu, und er musterte mich aus seinen kleinen Augchen.
In diesem Augenblick erkannte ich bis ins letzte das Ausmaß der Gefahr, in der ich mich befand. Ich sah mich irgendeiner unklaren Verbindung zur Seelenjägerei beschuldigt, sah Priester der Vier Schutzgötter über die
Weitere Kostenlose Bücher