Schalmeienklänge
dann schämte ich mich, nicht seinetwegen, sondern ihretwegen.
»Aber was soll ich dabei?« wollte ich wissen. »Was hat diese Ard mit mir zu tun?«
»Ard wurde von den Priestern der Vier Schutzgötter bei lebendigem Leibe die Haut abgezogen, nicht nur, weil sie sich auf die Bewußtseinskünste verstand, sondern weil man mit dieser Todesart schon früher gegen die alte Religion vorgegangen war. Die Priester hofften, ihrem Innern unter der Folter alle Kenntnisse von dem entlocken zu können, was sie wirklich suchten.«
Ich dachte an meine Geschichte – nicht meine, aber die durch mich dargestellte – von den beiden verzweifelt Suchenden. Ein eisiger Schauer kroch über mein Rückgrat.
Ich sagte langsam: »Sie suchten die Weißen Schalmeien.«
»Ja«, antwortete Brant. »Sie suchten die Weißen Schalmeien.«
»Und heute abend im Großen Saal… wer immer mich die Geschichte dieser wortlosen Suche spielen ließ, hoffte, ich…«
»Ja, der hoffte, du wüßtest etwas von den Schalmeien und er könnte es deinem Bewußtsein entreißen.«
Mir schauderte. Man hatte mein Bewußtsein benutzt, ohne sich einen Deut um die Konsequenzen zu scheren, nur um eine hohle Lüge über Schalmeien auffliegen zu lassen. Dafür hatte man mein und Jorrys Leben aufs Spiel gesetzt. Dafür.
»Aber was sind die Weißen Schalmeien denn nun? Und in der Geschichte, Brant, in der Geschichte sind sie gefunden worden. Sind sie denn wirklich bereits gefunden?«
Brant schwieg. Das Schweigen zog sich in die Länge. Zuerst glaubte ich, er erwäge die Antwort, doch dann begann ich seinem Schweigen etwas gezielt Gewolltes zu entnehmen, das bewußt in die Länge gezogene Schweigen eines Schauspielers, um die Aufmerksamkeit der Zuschauer zu steigern. Aber Brant war nicht der Mann für Bühnenkunstgriffe. Noch immer spürte ich seine harte Hand in meinem Nacken, und Furcht und Haß ihm gegenüber krochen mir wie Ungeziefer in den Bauch.
Noch einmal fragte ich: »Sind die Weißen Schalmeien gefunden worden?«
Brant erwiderte ganz leise: »Ja. Ich habe sie. Ard hat sie mir geschenkt.«
»Du hast sie!«
»Ja«, bestätigte er. »Ich habe sie.«
»Aber warum…«
»Das weiß sonst keiner. Alle anderen würden die Schalmeien haben wollen.«
»Wer?«
»Die Königin hat mich losgeschickt, dich zum Palast zurückzuholen. Sie wünscht, daß du sie noch einmal unterhältst.«
Die Königin. Wieder sah ich Leonores zarten, von der Schwangerschaft geblähten Körper, hörte ihren Schrei am Ende der Geschichte, sah sie Rofdal anlächeln wie ein gefährliches gezähmtes Tier und sah ihre unnatürliche Reglosigkeit.
»Du bist hoch aufgestiegen«, konstatierte ich bitter, »um der Rivale einer Königin zu werden.«
»Wir sind keine Rivalen. Noch nicht. Sie weiß weder, daß ich etwas von den Bewußtseinskünsten verstehe, noch, daß ich im Besitz der Weißen Schalmeien bin.«
»Warum erzählst du es dann mir?«
»Weil ich es für richtig halte«, antwortete Brant verächtlich. Aber warum Verachtung? Und warum mir alles erzählen? Würde das Wissen nicht Gefahr bedeuten?
Ein Gefühl tiefer Ohnmacht erfaßte mich. Brant hielt das eine Ende meiner Leine, die Königin das andere, und ich konnte mich nicht gegen sie wehren. Ich hatte keine Bewußtseinskünste, die an die ihren heranreichten. Ich konnte nur benutzt werden – von Brant und von Leonore – als Abwehr in einem Kampf, der um so tödlicher war, als er im geheimen ablief. Aber warum im verborgenen? Es gab immer noch Dinge, die ich nicht wußte, aber wissen mußte, sollte ich eine Chance haben, zu überleben und Jorry zurückzubekommen.
»Und was ist mit dem König? Hängt der auch der alten Religion an?«
»Nein. Er weiß nichts, weder von Leonore noch von mir.«
Das war ein unerwarteter Segen. Mein Gesicht mußte meinen Gedanken widergespiegelt haben, denn Brant sagte leise: »Wenn du ihm von meinen Künsten erzähltest, würde er dir nicht glauben. Wenn du ihm von der Königin erzähltest, würdest du wegen Verrat sterben. Du besitzt nicht die Glaubwürdigkeit von Leonores Adligen, die Janore vergifteten und eine Zofe dafür sterben ließen.«
»Und mein Mangel an Glaubwürdigkeit stellt einen Aktivposten für dich oder Leonore dar«, folgerte ich. »Man kann mich, wenn notwendig, als unbedeutend darstellen.«
»Ja.«
»Und wenn notwendig, auch als gefährlich, Brant? Sollte ich zur Häutung verurteilt werden, kann ich wenigstens darauf zählen, daß du einen schnellen und gnädigen Tod
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