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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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sich bereits an meinem Bewußtsein zu schaffen gemacht. Zwei Gegner – denn Brant gehörte nun ebenfalls dazu. Wenn ich daran dachte, daß ich im Großen Saal geglaubt hatte, er hätte Angst um mich und daran, daß ich ihn heute nacht in diesem Wald begehrt hatte – wenn ich daran dachte, sträubte sich alles in mir. Mein Bewußtsein hatte mich getäuscht. Ich kannte diesen Mann nicht, zu dem Brant sich entwickelt hatte, diesen Mann, der sich im Besitz der Weißen Schalmeien befand und der aus Gründen, die er nicht verbalisieren wollte, darauf bestand, daß ich davon wußte.
    »Jorry«, sagte ich, und meine Stimmte bebte, »wenn Jorry etwas zustößt, wirst du dafür sterben. Ich werde dich umbringen, über welche Bewußtseinskräfte du auch immer bestimmen magst und ungeachtet dessen, ob dein Tod den meinen zur Folge hat.«
    Einen Augenblick lang schwieg Brant. Dann begann er erschreckenderweise zu lachen, ein Lachen, aus dem nicht die geringste Erheiterung klang. »Du doch nicht, Fia – du nicht! Du bekämst es mit der Angst und würdest die Flucht ergreifen, ehe du so folgenschwer handeln würdest. Oder so entschieden.«
    Er stieß mich grob vor sich her. Ich sammelte in dem winzigen Zimmer in der Taverne meinen Umhang und die wenige andere Habe zusammen, die mir geblieben war. Jorrys Umhang war fort, das Strohlager und die Decke unter dem Fenster waren leer.

 
4
     
     
    Nur zwei Pferde und ein Mann warteten auf uns, und der Mann war kaum älter als ein Junge. Er stotterte, und sein Gesicht wies die schweren, verschwommenen Züge des etwas Einfältigen auf. Ich war überrascht, daß er und nur er Brant begleitete und fragte mich, wie viele Männer er mit Jorry fortgeschickt hatte. Jorrys Pony Slipper stand nicht mehr im Stall.
    Brant selbst führte mein Pony von seinem großen Braunen aus. Schweigsam ritten wir durch die Finsternis. Bei dem Pfad handelte es sich nicht um den deutlichen, den ich bergab genommen hatte, sondern um einen anderen, weniger gut markierten und steinigeren. Mehrmals rutschte eines der Pferde auf einem lockeren Stein aus. Hinter mir hörte ich den Jungen schwer atmen, als wäre er es und nicht sein Pony, der sich den steilen Hang emporarbeitete. Schließlich sprach der Junge.
    »Mylord Brant… es gibt da einen einfacheren Weg, Mylord.«
    »Das ist der richtige«, antwortete Brant knapp.
    Wir stolperten weiter. Ich spürte, daß ich kaum atmete; über mich war diese merkwürdige hochgestimmte Ruhe gekommen, die einen manchmal bei großer Gefahr oder großem Schmerz befällt. Ich war mir meines Körpers, der auf dem mühsam ausschreitenden Pony schaukelte, kaum bewußt. Aber alles jenseits meines Körpers hatte unnatürliche Schärfe angenommen. Äste vor dem Mond zerteilten meinen Blick; das Windchen an meiner Wange traf mich wie ein Hieb; der Duft der Levkojenblüten erstickte mich mit seiner übelkeitserregenden Süße.
    Levkojen: das vierblättrige Emblem der Vier Schutzgötter. Die Frömmler pflanzten Levkojen, und die Priester sangen von ihnen bei jeder Anbetung der Vier Schutzgötter:
Schützt meinen Leib vor Verbrennung
    Schützt meine Sinne vor Betörung
    Schützt mein Bewußtsein vor Machtlosigkeit
    Schützt meine Seele vor Bedrängnis,
    Levkojen.
    Eine zotige Version des Priestergesangs, wie ich sie bei einem vornehmen Maskenspiel zwischen dem Gefeixe der Lords und dem Gekicher der Damen vernommen hatte, kam mir wieder ins Gedächtnis:
Schützt meine Sünden vor Benennung
    Schützt meine Lenden vor Störung
    Schützt meine Lust vor Kraftlosigkeit
    Schützt meine Geliebte vor Empfängnis,
    Lev – ko – jen.
    Der Weg nahm eine unvermittelte Rechtskurve, und Brant folgte ihr. Der Junge rutschte im Sattel herum und erhob sich halb in einer vor Überraschung oder Protest erfolglosen Bewegung und stieg dann ab. Durch die Bäume hindurch sah ich die dunkle Linie einer Mauer.
    »Bring sie hinein«, ordnete Brant an.
    Der Junge hob mich von meinem Pony und führte mich in die Hütte. Er roch nach Schweiß und Dung; die Hütte selbst stank nach Tieren und sauren Dämpfen. Die Südwand war fast zusammengebrochen, so daß genügend Mondlicht hereinfiel, um Brant und seinen Bediensteten als silbergesäumte schwarze Gestalten erkennen zu lassen. Brant wies ihn an: »Führ die Pferde zurück zur Weggabelung und warte dort bis morgen.«
    Der Junge wagte es, Einspruch zu erheben. »Mylord… die Königin befahl, die Harfnerin noch heute nacht zu bringen. Es tut mir leid, Mylord, aber das

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