Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
Vom Netzwerk:
Königin!‹. Aber es war mir egal, die Erinnerung war nicht von Dauer, ich sah es nicht vor mir. Ich sah nur Jorry in Fesseln und weinend auf einem Sattel liegen.
    »Die Bewußtseinskünste sind real«, erklärte Brant. »Und ich bin nicht der einzige, der sie erlernt hat, wenngleich auch der einzige, der sie von dem Mädchen Ard erlernt hat. Sie war die letzte aus ihrer Linie, einer alten Familie, die verarmt war und sich verstecken mußte, nachdem die Vier Schutzgötter, ihre Priester und Könige zu Macht in dieser Welt gekommen waren.«
    Plötzlich kam mir in den Sinn, daß Brant vielleicht log. Wie erfuhr ich tatsächlich, daß seine Männer Jorry geholt hatten? Vielleicht bestrafte Brant mich nur mit dem grausamsten Trick, der ihm einfiel, für meinen Diebstahl und mein Verschwinden. Vielleicht schlief mein Sohn immer noch auf seinem Strohlager in der Taverne, und seine Wimpern warfen Schatten auf seine mondbeschienenen Wangen.
    Sobald mir dieser Gedanke gekommen war, fühlte ich mich überzeugt, daß Jorry sich noch in der Taverne befand. Ich mußte mich nur losreißen und zu ihm gelangen. Ich schätzte die Strecke bis zum Rand der Lichtung und zum Waldrand und schließlich zum Fenster der Taverne ab. Jorry war dort.
    »Das Bewußtsein ist zu vielen Täuschungen imstande«, erklärte Brant. Ich schreckte zusammen, doch er schaute mich nicht an. »Ard selbst hatte so viel experimentiert, daß sie nicht mehr sicher war, was aus ihrem eigenen Denken, was aus den Drogen und was aus dem Bewußtsein anderer stammte. Sie lebte in einer Hütte fernab von den Menschen. Das Denken der anderen verwirrte sie. Sie war vielleicht ein bißchen verrückt.«
    Ich sammelte mich für den Lauf zur Taverne. Jorry lag dort und schlief auf seinem Strohsack.
    »Er ist nicht dort«, erklärte Brant, und seine Finger schlossen sich um mein Handgelenk.
    Ich fuhr heftig mit dem Kopf herum.
    »Nein, ich dringe nicht in dein Bewußtsein ein«, meinte er ungeduldig. »Hast du irgendwelche Drogen, Dünste oder sonst etwas gesehen? Ich kenne dich nur, Fia. Aber diesmal kannst du nicht fliehen. Oder wirst du es trotzdem, wenn ich dich loslasse?«
    »Nicht vor meinem Sohn«, sagte ich, schaute ihn an und schloß so meinen Handel. Brant wußte es. Ich würde alles tun, was notwendig wäre, um Jorry zurückzubekommen, aber ich würde nicht vergessen, wie man mich dazu gezwungen hatte und würde es auch nicht verzeihen. Und ich würde nicht zögern, jeden Vorteil, der sich mir böte, auszunutzen. Zum ersten Mal konzentrierte ich mich auf das, was er sagte; man konnte nie wissen, welche Kenntnisse ich brauchen würde.
    »Ich glaube, Ard drang sogar in das Bewußtsein von Tieren ein«, fuhr Brant fort. »Sie hielt Schweine, denen sie leise vorsummte, und manchmal schlief sie bei ihnen, wenn sie Angst hatte. Dann fand ich sie am Morgen im Schweinestall. Sie hatte oft Angst. Als sie starb, war sie erst siebzehn, eine kindhafte, unheimliche, wunderschöne Seelenjägerin mit dem ererbten blonden Haar ihrer alten Familie.«
    »Warum erzählst du mir das alles, Brant?«
    »Weil ich es möchte. Oder willst du nicht wissen, was aus mir wurde, nachdem du mich fallengelassen hast?« Sein Ton klang spöttisch, aber irgend etwas daran war schief wie bei Musik, die leicht aus der Tonart geraten war. Ich lauschte bestürzt.
    »Man holte Ard, während ich fort von Veliano, in Erdulin weilte. Als ich zurückkam, war es zu spät, ihr einen gnädigen Tod zu verschaffen. Ich erfuhr, daß sie in Strudeln gewalttätiger Geschichten starb, die durch ihre Zelle tosten und ihre Folterer in Panik versetzten, die sich jedoch nicht zu entfernen wagten, weil die Priester Rofdals die entsprechenden Befehle erteilt hatten. Sie entriß der Psyche ihrer Peiniger die schrecklichsten Geschichten, die sie nur finden konnte, doch ihren Messern vermochte sie nicht zu widerstehen. Sie hatten größere Furcht vor Rofdal als vor ihrem eigenen Innern oder dem Ards.«
    Ich sah die Szene innerlich vor mir; mein Magen revoltierte.
    »Wie konnten sie sie als Seelenjägerin beschuldigen? Woher wußten sie, wer und was sie war?«
    »Das brauchst du nicht zu wissen«, antwortete er, und ich erschrak über die Tiefe des Schmerzes in der heiseren Stimme, die aus der Dunkelheit ertönte.
    Hatte er Ard geliebt? Plötzlich und boshafterweise hoffte ich es, hoffte, daß er sie geliebt und wegen ihres grauenvollen Todes gelitten hatte, den er nun jedesmal, wenn er davon sprach, aufs neue durchlebte. Und

Weitere Kostenlose Bücher