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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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zu schwer auf ihr. Ihre Haut rötete und spannte sich wie vor Schmerz. Ich dachte voller Furcht, daß ihre Droge weit stärker sein mußte als alles, was ich kannte, um solche Auswirkungen auf sie zu haben. Sie saß, wie es mir schien, lange Zeit wie versteinert. Licht von der Laterne, die der hinter ihrem Stuhl stehende Diener hoch emporhielt, schimmerte silbern auf ihrem glatten schwarzen Haar, auf dem Gewebe ihres Kleides und den grauen Steinen, die schlüpfrig waren von der unterirdischen Feuchtigkeit von Wänden und Boden.
    Die Königin schlug die Augen auf, spreizte die Hände, und der pinkfarbene Nebel bildete sich über der ausgedehnten Wölbung ihres Bauches. Als der Nebel zu Figuren wurde, standen diese auf ihrem ungeborenen Kind. Erst dann schaute sie mich, die an den Stuhl gefesselt war, an, und ihr Blick wirkte vage und verschwommen, als hätten sich ihre Augen ein wenig in ihren Kopf zurückgezogen. Nun begriff ich, warum sie am ersten Abend im Großen Saal die Lider gesenkt gehalten hatte.
    »Denk an dein Geschichtenspiel«, sagte sie zu mir. »Wo hast du es erlernt? Denk an den Ort, wo du ausgebildet wurdest und an deinen Lehrer. Zeig mir, was geschah, als du die Bewußtseinskünste erlerntest. Ich will wissen, wieviel du vermagst, Geschichtenspielerin, außer deinen Fabeln zur Erheiterung von Strohköpfen. Denk an den wichtigsten Tag deiner Ausbildung, Geschichtenspielerin!«
    Sowie sie zu Ende gesprochen hatte, wußte ich, was geschehen würde. Hektisch versuchte ich, an etwas anderes, irgend etwas anderes zu denken, aber natürlich gelang es mir nicht. Seine Gedanken von einer Vorstellung abzulenken ist der sicherste Weg, sie auf tiefere Schichten zu lenken, auf die der Rest des Bewußtseins sich langsam konzentriert wie bei der Verschiebung gewaltiger Gesteinsmassen auf eine Erdspalte zu. Zwischen Leonores Händen erstand aus dem Dunst der Tag bei Mutter Arcoa, den ich für den bedeutungsvollsten hielt, und da standen auf ihrem Bauch Brant und ich einander nackt gegenüber.
    Leonores Bruder stockte der Atem, er beugte sich tiefer hinab und keuchte erneut. »Brant! Es ist Lord Brant!«
    Leonore saß wie erstarrt. »Das kann nicht sein.«
    »Es ist aber so. Brant – sie kennt Brant! Und das schon seit Jahren, wie es aussieht.« Er hob die Faust, eine verfehlte Handbewegung, als wollte er zuschlagen, fand aber kein Ziel. »Demnach muß er derjenige sein, welcher… aber warum hattest du gestern abend Brant geschickt, sie zu holen? Warum Brant?«
    »Er machte sich erbötig«, antwortete Leonore bissig. »Nein, er sorgte dafür, daß er zur Verfügung stand, gebeten zu werden… er dachte sich wohl, daß ich sie zurückhaben wollte, Perwold, und er wollte gehen.«
    »Demnach muß sie viel wissen. Sie…«
    »Paß auf!« befahl Leonore.
    Die Geschichte zwischen ihren Händen, die gleiche Geschichte, die Brant mir in der ersten Nacht im Großen Saal entlockt hatte, spielte sich noch einmal vor neuem Publikum ab. Wieder umarmten sich die winzige Fia und der winzige Brant, legten sich hin und begannen sich zu liebkosen. Sie zog seine Bluse aus und küßte seine Brust. Er strich mit der Hand über die Wölbung ihres Schenkels und umfaßte zärtlich ihre jungen, kaum gesprießten Brüste. Wieder liebten sich die winzigen Gestalten. Und wieder sprach der Junge auf das Mädchen ein, sprach aufgeregt und ohne Worte und hielt ihre Schultern umfaßt. Er bettelte; sie schüttelte trotzig den Kopf. Und als er eingeschlafen war, nahm sie wieder Gold aus einer Geheimschublade in einem selbstgemachten geschnitzten Altar, verließ ihn und trug einen Schuh und ein Kind mit sich. Wieder drückte sie über der Wölbung ihres Bauches den Schuh an ihre Wange und weinte.
    Ich hatte nicht gewußt, daß die Details dieses Tages so unerschütterlich meinem Innern präsent waren.
    Leonores Bruder sog laut zwischen den Zähnen hindurch den Atem ein, daß es zischte. »Ihr Balg stammt von Brant.«
    »Und Brant war mit ihr bei ihrer Ausbildung. Demnach weiß er auch… aber wieviel?«
    Perwold zuckte mit den Schultern und trat auf mich zu. Er bewegte sein Bein von der Hüfte aus mit den flüssigen Bewegungen eines Tänzers oder eines Raubtiers. Doch ehe er bei mir anlangte, hob Leonore die Hand, und er blieb stehen.
    »Geschichtenspielerin«, sagte sie, »denk an das, was du und Brant zusammen erlerntet. Zeig mir die größte Bewußtseinskunst, die du ausführen kannst. Jetzt. Denk an die schwierigsten der alten Techniken, die du

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