Schalmeienklänge
zurückgeritten und brüllte…«
»Was für ein Pferdeknecht?« fragte die Frau.
»Einer von den Pferdeknechten des Königs! Er brüllte etwas…«
»Was? Was hat er gebrüllt?«
»Der Wind trug es fort, aber dann sagte eine Magd…«
Ludie wußte keine Tatsachen. Ich schlüpfte aus dem Kuhstall und rannte zum Schloß.
In den Küchen herrschte helle Aufregung und Tränen flossen. Doch je höher ich kam, indem ich mich grob an Dienern vorbeidrängte, um so ruhiger wurden die Räume. Schließlich erzählte mir ein Serviermädchen, der ich geholfen hatte, Wasser zu holen, als ihr der Rücken schmerzte, was sie von einem Gespräch zwischen zwei Lords und dem Arzt mitbekommen hatte: Rofdal befand sich nicht in Lebensgefahr. Er war gestürzt und hatte eine klaffende Wunde am Bein davongetragen, das er nun nicht belasten durfte.
»Und das Maskenspiel morgen!« sagte die Frau mit weit aufgerissenen Augen, weil der Gedanke für sie wirklich entsetzlich war. »Seine Gnaden wollten doch den Krieger-König spielen!«
Ich schaute sie an, nickte knapp und ließ sie stehen. Neid beeinträchtigte mein Nicken. Wie mußte es sein, in solcher Sicherheit zu leben, den Gedanken an Tod und Überleben so weit von sich zu schieben, daß man sich so intensiv mit einem Maskenfest befassen konnte? Denn, wäre der Sturz anders verlaufen, wäre Rofdal gestorben…
Ich hatte von Brant und Leonore als den Mächten gehört, die man in Veliano fürchten mußte. Sie und ihre Anhänger – Leonore hatte Anhänger, aber Brant? – waren diejenigen, die die Bewußtseinskünste beherrschten, nach den Weißen Schalmeien suchten und die entgegengesetzten Enden des Stricks hielten, an den ich gefesselt war. Rofdal wußte von alledem nichts, und so hatte ich nicht mehr weiter über ihn nachgedacht seit dem Abend im Großen Saal, als er mein Leben geschont hatte. Aber ich hatte mich getäuscht. Rofdal hielt den Strick, der Brant und Leonore schnürte, und wenn er auch nichts über ihre verzweifelten Bemühungen wußte, so minderte das nicht seinen festen Griff. Jetzt noch ertönten aus offenen Fenstern Schreie und durch die Ferne gedämpftes Wehklagen von Bauern, die vom Sturz ihres Königs erfuhren. Rofdal war in seinem Volk ungemein beliebt. Wäre er gestorben…
Wäre er gestorben, bestünde für Leonore kein Hindernis mehr, Brant zu töten. Oder mich, falls sie sich an mich erinnerte. Und wenn Brant tot wäre, gäbe es für mich keine Möglichkeit mehr, zu Jorry zu kommen. Wenn Brant tot wäre…
Die Schreie draußen kamen näher. Ich stieg die Treppe hinab, um allen, die ich traf, zu sagen, daß es sich nur um eine leichte Verletzung handelte, daß keine Gefahr bestand, daß der König lebte. Der König lebte.
*
Der Mittsommertag dämmerte heiß und drückend. Gegen Mittag häuften sich schwarze Wolken im Osten, Hitze flimmerte über dem Fluß. Lange Zeit schien die Luft in und um den Palast unnatürlich still, und es herrschte so bedrückendes Schweigen, daß einer, der alleine arbeitete, sich unbehaglich fühlen und in namenloser Bedrückung den Blick nach oben wenden mußte. Im nächsten Augenblick wehte eine plötzliche Brise in heftigen Böen und peitschte noch mehr Hitze und körnigen Staub in das nach oben gewandte Gesicht. Dann wieder die bedrückende Stille und die vor dem schweren Himmel noch dunkler wirkenden Gewitterwolken.
Die Hitze, die in den Bergen so weit südlich recht selten sein mußte, war im Laufe der Nacht aufgetreten und hatte ruhelosen Schlaf und fieberhafte Träume mit sich gebracht. Ich hatte von etwas geträumt, das seit Jahren in meiner Erinnerung verschüttet gewesen war: einem sterbenden Kater, oder hatte geglaubt, davon zu träumen, halb wach, halb schlafend, welches von beidem wußte ich nicht mehr.
Der Kater war in dem Jahr in Mutter Arcoas Haus gekommen, da man mich dort ausgesetzt hatte, also drei Jahre vor Brants Ankunft. Ich war zehn gewesen; der Kater dagegen uralt. »Vierlebig ist die Katze, vierblättrig durch die Gnade der Vier Schutzgötter«, hieß eine alte Straßenballade, und dieser Kater sah aus, als hätte er bereits drei Leben hinter sich. Er hatte nur noch ein Ohr, drei Beine, das Schwanzfell war abgesengt bis auf einen armseligen weißen Strich, und eine Hautkrankheit oder Ungeziefer sprenkelten das orangebraune Fell. Eines der kleinsten Mädchen hatte den Kater gegen Mutter Arcoas strengstes Verbot hereingeschmuggelt. Als man ihn entdeckte, befahl Mutter Arcoa, ihn
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