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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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hinauszuwerfen. Wir Kinder bettelten, und das kleinste Mädchen weinte, aber Mutter Arcoa setzte den Kater an den Eingang und trat nach seinem versengten Schwanz. Der Kater warf einen Blick nach draußen und machte blitzartig kehrt. Vielleicht war er auf der Straße mißhandelt worden, und seine Furcht war schlimmer als Mutter Arcoas Tritt. Aus welchem Grund auch immer, jedenfalls wollte er nicht hinaus und ließ sich auch nicht dazu bewegen. Er ließ lieber Schläge mit dem Besen über sich ergehen als wegzulaufen. Trug man ihn zur Tür, biß und kratzte er wie von Sinnen. Als man ihn mit einem Sack fing und auf die Straße warf, schlich er sich durch die Fenster, durch Spalten, ja durch die Mauern selbst wieder herein. Als wir ihm absichtlich nichts zu fressen gaben, wollte er sich lieber aufs Sterben vorbereiten, als zu gehen. Schließlich tötete ihn Mutter Arcoa mit einem einzigen sauberen Stich eines Metzgermessers.
    »Das Tier hätte gehen können«, erklärte sie, als sie mit dem noch roten Messer in der Hand über dem blutigen Kadaver stand. »Selbst eine Katze muß einmal handeln oder zulassen, daß mit ihr gehandelt wird.« Sie sprach an die weinende Kleinste gerichtet, aber ich hatte das Gefühl, daß ihre Worte mir galten.
    Ich mußte an den Kater und die Worte denken, als ich mich am längsten Tag des Sommers von meiner Pritsche erhob. Ich wußte nicht, ob die Geschichte, die heute abend zwischen meinen Händen entstehen würde, von mir, Brant oder Leonore stammen und ob ich sie überleben würde. Aber wenn ja, würde ich nicht länger auf Besen, Sack oder Messer warten. Selbst dieser verkrüppelte, versengte Kater konnte kratzen und beißen, um sich gegen seine Peiniger zu wehren. Warum hatte er es nicht getan? Gewiß nicht aus Furcht. Dieser Kater war zu alt, um sich zu fürchten. Er hatte die Furcht überlebt und war irgendwohin gegangen, wo Furcht und Kampf überwunden waren und er nur noch stumm warten konnte, welche Mißhandlung als nächste käme. Das gleiche könnte mir widerfahren, und ich wagte nicht, es zuzulassen. Ich konnte mich nicht diesem anspruchslosen, schrecklichen, ruhigen Ort hingeben: Ich hatte Jorry. Ich würde handeln müssen.
    Ich stand von meinem Strohlager auf, schaute mich um und kam zu dem Schluß, daß ich handeln würde.
    »Du, Junge!« rief der Stallmeister mir zu, als ich über den Hof zu den Küchen ging. Ich drehte mich um, und er schaute verwirrt drein, aber nur für einen Augenblick. An einem Festtag wie heute war keine Zeit für Verwirrung, und eine zierliche Frau hatte die gleichen Hände wie ein Junge. »Was machst du? Bist du die fremde Harfnerin?«
    »Ich bin die Geschichtenspielerin. Und ich mache nichts. Wobei kann ich dir helfen?«
    Er blickte finster drein; Bereitwilligkeit ist noch irritierender als Fremdheit. Aber offensichtlich war er in arger Bedrängnis, denn er trat zu mir und erwies sich als gedrungener, kräftiger Mann, der allmählich kahl wurde und stark nach Mist roch.
    »Schau dir mal den Teil des Stalles an. Nein, dort. Der Stallbursche ist nicht da – am Mittsommertag fehlt der! –, und später kommen die Lords ihre Pferde holen. Die Boxen habe ich selbst saubergemacht, aber der Boden müßte geschrubbt werden, und ich habe keine Zeit. Hol einen Eimer und eine Bürste und scheure die Fliesen.«
    »Ja«, antwortete ich ziemlich freundlich. Wieder schaute er finster drein.
    »Und rühr die Pferde nicht an, hörst du?«
    »Natürlich nicht.«
    »Die Stallknechte kommen und gehen.« Eine Warnung. Pferde waren kostbar.
    »Wo steht der Eimer?«
    Er zeigte ihn mir, immer noch voller Mißtrauen, aber in noch größerer Eile. Pagen und Küchenmägde schleppten endlos Wassereimer, Wasser, das seine Quellfrische verloren hätte, bis es in die Zimmer der Lords und Ladys gelänge, für die es bestimmt war. Schweiß bildete dunkle Flecke unter den Armbeugen der Pagen und rann in die Furchen zwischen den Brüsten der Küchenmädchen herab.
    In den steinernen Ställen war es kühl, und es roch nach frischem Stroh. Die großen Pferde stampften, schlugen mit ihren Schweifen nach den Fliegen, und in den Dachsparren gurrten leise die Tauben. Dieser Stall war weiträumiger, kühler, sauberer als der, in dem mein breitrückiges Pony untergebracht war.
    Und Jorry war nicht mehr da.
    Ich schrubbte den Steinboden in kreisenden Bewegungen, bis mirdie Schultern weh taten, auf denen sich unter der Bluse immer noch meine Blutergüsse abzeichneten. Ich schrubbte wie wild

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