Schalmeienklänge
Harfnerin, du kennst mich doch. Wo ist Ludie?«
»Es regnet«, konstatierte Agla völlig verwundert. Der bärtige Mann flüsterte ihr etwas ins Ohr, daß sie in schallendes Gelächter ausbrach und gegen ihn sackte. Er hob sie hoch und trug sie, die immer noch lachte, zu den Ställen. Plötzlich entlud sich das Gewitter mit Donner wie Kanonenschläge, und der Regen fiel heftiger. Ich lief in die Küchen, wo die Leute chaotisch durcheinanderwimmelten, und dort sah ich Ludie mit dem Rücken an der Wand sitzen und einen Krug Bier über ihr Kleid gießen. Ich hockte mich neben sie und flüsterte ihr ins Ohr:
»Ludie. Ich weiß ein Geheimnis.«
Sie sah mich ebenso vage wie Agla an, und ich dachte, wenn jedes Dienstmädchen im Palast so betrunken wäre, würden die vom Maskenspiel durchnäßten Damen wenig Hilfe haben, ihre Haare zu trocknen und ihre Kleider zu wechseln.
»Es ist ein Geheimnis über Agla. Ein sehr lustiges Geheimnis, Ludie. Komm mit, dann erzähle ich es dir.«
»Agla«, sagte Ludie.
»Ja, Agla.«
»Mein Kleid ist naß.«
»Nicht schlimmer als das der Königin. Komm mit, Ludie. Gib mir deine Hand.«
Ich wagte es, sie in mein eigenes Zimmer zu bringen. Keiner würde mich heute abend mehr für eine Vorstellung holen lassen, und ich glaubte nicht, daß Brant, durchnäßt wie er war und mit Cynda an seiner Seite, auf der Stelle seine Drogen zählen ginge. Mein Zimmer ließ sich wie das der meisten Dienstboten nicht verschließen, doch ich zerrte die kleine ramponierte Truhe vor die Tür, lehnte Ludie auf dem Boden dagegen und drehte ihr den Rücken zu. Sie saß da und summte eine Ballade, die ich zuvor schon gehört hatte, irgend etwas Gefühlsduseliges von einem Hirten und seiner Liebsten. Die meisten Worte hatte sie entweder vergessen oder vertauscht, aber ihre Stimme klang erstaunlich rein und echt, und ich dachte für einen Augenblick, welcher Hohn es war, daß eine solche Begabung in so einer Verpackung steckte. Sie würde Ludie wenig nützen. Dann wandte ich meine sämtlichen Gedanken wieder den Drogen zu.
Ich setzte darauf, daß die Mixtur, die ich für die Erste Phiole benutzte, jener ähnelte, die Brant nahm. Als er mir am ersten Abend die Geschichte von Jorry entriß, hatte er bereits die Erste Phiole getrunken, ehe er das Zimmer betrat, wo Jorry und ich warteten, und ich erinnerte mich, daß er nur nach Wein und Pferden und nicht nach Drogen gerochen hatte. Wenn seine Erste und Zweite Phiole sich von dem unterschieden, was ich benutzte, verringerte das meine Chancen, die richtige Kombination herauszufinden. Bitte, flehte ich im stillen ziellos, laß die Erste Phiole identisch sein, und fühlte mich ziemlich dumm dabei. Es war eine Erleichterung, mich dumm zu fühlen; es dämpfte für einen Augenblick meine fieberhaften anderen Empfindungen.
Ich hatte meine Erste Phiole auf dem Weg zum Stallhof bei der Suche nach Ludie getrunken. Nun zog ich eine der anderen Flaschen aus der Bluse und schüttete die gleiche Menge Pulver, wie ich sie immer benutzte, in meine Zweite Phiole, füllte sie mit Wasser aus dem Krug auf und trank aus.
»Was machst du da?« fragte Ludie. Sie kam zu mir getorkelt.
»Ich trinke meinen Wein«, antwortete ich. Die Droge schmeckte bitter. Ich ließ das Aroma über meine Zunge rollen und versuchte, die Bestandteile zu identifizieren. Es gelang mir nicht. Wenn ich die Dosierung falsch eingeschätzt hatte und dadurch erblinden würde oder Schlimmeres, würde ich niemals erfahren, woran es gelegen hatte.
»Kann ich auch etwas bekommen?« bat Ludie.
»Du hast doch schon was«, erwiderte ich, tippte an ihren Bierkrug und trank den Rest von Brants Droge. Ein Ruck durchfuhr mich, der von der Stelle auszugehen schien, wo meine Finger Ludies Bierkrug berührten: Geräusch, Farbe und Kälte, die meine Fingerspitzen zu verbrennen schien oder sie weckte. Dann war der Stich vorüber, und ich nahm nur noch die Musik wahr, die zu schwach war, sie auszumachen, und zu einlullend, sie zu ignorieren wie eine Melodie, die man in einem lebhaften Traum hört.
»Ich werde jetzt gehen«, erklärte Ludie unvermittelt und begann, von dem Bier zu erbrechen. Ich hielt ihren Kopf von uns beiden weg, und als sie fertig war, stellte ich fest, daß die Ablenkung nicht wie bei der einzigen Geschichtenspielerdroge, die ich kannte, meine leichte Trance aufgehoben hatte. Noch immer vernahm ich die Musik flüchtig wie ein Windchen, nicht schwächer und nicht lauter.
Ludie ging auf mein Strohlager zu.
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