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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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zerstörte?
    Denk nicht daran, hör nicht zu denken auf.
    »Das war kein tolles Geheimnis«, meinte Ludie ernst.
    »Aber… ich weiß ein schöneres. Warte hier, Ludie.«
    Ich kroch zum Wassereimer, weil ich nicht aufzustehen wagte, und machte eine dritte Flasche zurecht. Als ich sie an die Lippen hob, durchzuckte mich eines dieser flüchtigen Bilder, die auch die stärkste Willenskraft verleiten und schwächen: wie es wäre, wenn ich Jorry bei Brant zurückließe und aus Veliano flöhe. Ich spielte mit der neuen Droge in den Silberstädten Geschichten und lebte in Sicherheit und Wohlstand; Jorry bliebe als junger Edelmann reich und zufrieden in Brants Haus. Meine Erinnerung verblaßte entsprechend. Es wäre so einfach.
    Ich trank die dritte Droge.
    Es geschah, wie mir schien, lange Zeit nichts. Ich kniete im Nichts, hörte und sah nichts um mich als Grau. Dann saß ich neben Ludie, hatte die Hände gespreizt, und die Musik aus der Ferne war so viel nähergerückt, daß ich am liebsten die Augen zusammengekniffen hätte, um die flüchtigen Töne zu identifizieren. So quälend nahe, eine fast gegenwärtige Musik…
    »Aaaaah!« stöhnte Ludie, und ich blickte hinab. Nebel zog zwischen meinen Händen.
    Schnell sagte ich: »Bei der ersten Schlägerei, Ludie… wer kämpfte da im Stallhof?« Sie schaute von dem Nebel zu mir hoch, als sie meinen Ton vernahm. Ihre hellen Augen waren trübe und vor Trunkenheit verschleiert, Wein sickerte ihr aus einem Mundwinkel, und bei ihrem Blick fühlte ich, wie mein Bewußtsein auf der Musik davongetragen wurde und das ihre berührte.
    Sogleich zog ich mich zurück. Es war nicht schmerzhaft, aber es war ein so erschreckendes, zerbrechliches Gefühl, als ob man ein lebendes Herz berührte, nachdem Haut und Knochen des Brustkastens entfernt waren, daß ich zurückzuckte. Zum ersten Mal wurde mir klar, warum die Priester der Vier Schutzgötter gegen das Seelenjagen und das Eindringen in fremdes Bewußtsein wetterten. Dieser Griff nach Ludies hilflosem Denken war eine Blasphemie, eine Art von Vergewaltigung.
    Und erneut griff ich danach.
    Ludie schien nichts zu bemerken. Sie beobachtete den pinkfarbenen Nebel, der sich zwischen meinen Händen zu zwei Männern verdichtete; bei dem einen handelte es sich um einen Fuhrmann namens Rhem, der mir bekannt war, bei dem anderen um einen rothaarigen Fremden. Lautlos droschen die beiden auf vom Bier rutschigem Pflaster aufeinander ein. Rhems Fäuste trafen den anderen am Kinn, daß er zu Boden ging und alle viere von sich streckte. Als er sich wankend wieder hochrappelte, hieb Rhem ihm die Faust in den Magen.
    Genau das gleiche hatte Brant mir angetan. Und das hier, diese Droge, dieses Eindringen, diese Blasphemie hatte er mir ebenfalls angetan.
    Eine weitere Gestalt, eine Frau, warf sich auf den zusammengebrochenen Fremden. Es war Ludie selbst. Ein lautloses Kreischen stand in ihrem Gesicht, mit dem sie Rhem beschimpfte. Rhem stand über ihnen beiden mit angriffsbereiten Fäusten, warf dann den Kopf zurück, lachte und stapfte davon, um noch mehr Bier zu trinken.
    »Ein fairer Kampf«, stöhnte Ludie. »Sie sagen… es wäre ein fairer Kampf gewesen!« Und wieder erbrach sie sich. Diesmal war ich nicht in der Verfassung, ihr den Kopf zu halten. Aber in meinem Zimmer konnte sie nicht bleiben.
    Ich trug und zerrte sie halb aus dem Schloß zum Kuhstall. Andere Gestalten wankten an uns vorbei, die meisten kaum weniger betrunken. Draußen war niemand zu sehen, ich hob mein Gesicht in den Regen und ließ mich davon erfrischen, bis ich sicherer stand. Beim ersten Tropfen in Ludies Gesicht wurde sie zu einer schweren Last an meiner Schulter, wie es fast nur ein Bewußtloser werden kann. Irgendwie schleppte ich sie die restliche Strecke zum Kuhstall, der vor mir wie eine gespenstische und stinkende Festung emporragte.
    Im Innern war es leise und schummrig. Ich deckte Ludie mit sauberem Stroh zu, damit sie nicht fröre, und schob ihr Säcke als Kissen unter den Kopf. Die an ihre Pfähle geketteten Kühe muhten leise. Fast hätte ich mich neben sie gekuschelt. Aber das konnte ich mir nicht erlauben. Je weniger sie am nächsten Morgen noch wüßte, um so besser für uns beide. Als sie friedlich im sauberen Stroh lag und Erbrochenes noch ihre eine Wange besudelte, streichelte ich ihr die andere liebevoll. Ich hätte nicht sagen können, warum, außer daß ich vermutete, daß sich der rothaarige Fremde irgendwo in der Scheune, den Ställen oder dem Palast oder

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