Schalmeienklänge
der Hütte von seiner Schlägerei erholt hatte und nun bei einem hübscheren und aufgeweckteren Mädchen als der armen Ludie lag.
Überall im Palast, im Großen Saal, in den Küchen und Kellern hielten die Belustigungen und Liebeleien an. Ich taumelte zu meinem Zimmer zurück, schob die Truhe vor die Tür, kroch mit rasenden Kopfschmerzen auf Knien zu meiner Pritsche, wo ich die gestohlenen Fläschchen in einer Ecke angehäuft und mit meinem Umhang zugedeckt hatte. Es war kein gutes Versteck, aber ich hatte nicht die Kraft, nach einem anderen zu suchen. Und es wäre auch gleichgültig gewesen. Wenn Brant entdeckt hätte, daß die Drogen fehlten, hätte er meinem Denken jedes Versteck abringen können.
So, wie ich es nun umgekehrt konnte.
7
Jene Kinder bei Mutter Arcoa, die eher Schauspieler als Geschichtenspieler werden sollten, erhielten eine Gedächtnisschulung. Ich kann mich an einen Knittelvers erinnern, den selbst die jüngsten Schauspielschüler rezitierten:
Eile, eile, alles Zagen
Wird das Publikum verjagen.
Haste, haste, zu beginnen,
Sonst zieh’n alle dir von hinnen.
Ich hatte das Jorry vorgesungen, als er ein kleines Kind gewesen war, und er hatte mich aus runden Augen, ohne zu zwinkern, angesehen, auch wenn er nur ein ernstes Baby ohne das Gehör für Lieder war. Später hatte er mich gefragt, was es zu bedeuten hätte, und ich hatte ihm erklärt, daß Schauspieler ihre Zuschauer niemals in fieberhafte Erregung versetzen durften, um ihnen dann lange, ereignislose Monologe zu halten, sonst würde das Publikum ungeduldig.
Mich hatte man auf einen Höhepunkt der Erregung getrieben, doch nach dem Mittsommerfest kehrten am Hofe wieder langweilige, ereignislose Tage ein, und ich wurde nicht nur ungeduldig, sondern zunehmend ängstlich, niemals meine Chance bei Brant zu erhalten.
Am Tag nach Mittsommer wartete ich voller Spannung, ob er meinen Diebstahl bemerkt hatte, doch seine Lordschaft ließen mich nicht rufen, keine Wachen drängten mich mit harten Griffen in einen Geheimgang und schleppten mich zu ihm, keine verwirrte Ludie tauchte in der Küche neben mir auf, um mir Fragen über die vergangene Nacht zu stellen. Und als Rofdal mich an diesem Abend in den Großen Saal bestellte, sah ich Brant und wußte, daß er mich noch nicht in Verdacht hatte. Geheimschubladen sind wunderbare Dinge: sie lassen keinen Raum für Maße und Gewichte.
Rofdal hatte mir neue Kleider geschickt, das erste Geschenk, mit dem er mir seine Gunst bezeugte. Die Bluse war aus blauer Seide, die Strümpfe von dunklerem Blau, der Mantel aus brauner Wolle mit blauer Kapuze.
Alles war ein bißchen zu groß und ursprünglich für einen anderen angefertigt. In der Küche ging die Seide von Hand zu Hand und wurde bestaunt. Im Sich-Zurückziehen einiger Dienerinnen und dem abgewandten Blick von anderen sah ich bereits die Kluft zwischen jenen, die an ihren Kochstellen essen, und jenen, die nicht. Rofdal hatte befohlen, daß ich im Großen Saal zu Abend aß, an einem niedrigen Tisch mit seinem Arzt, seinem Waffenmeister, seinem Chefpagen, dem Obergärtner für den Schloßpark und der Frau, die nach den Wolkenbewegungen über einem Spitzturm des Palastdaches weissagte. In den Silberstädten hätten um einen solchen Tisch Musiker und Tänzer, königliche Maler und Poeten, der Oberste Barde, Übersetzer und Schreiber gesessen. In Veliano gab es das alles nicht bis auf die Musiker, die in der Küche aßen, wo ich am liebsten auch geblieben wäre.
Als das Mahl zu Ende ging und ich zu Rofdal gerufen wurde, kam ich der Aufforderung relativ gelassen nach. Ich hatte etwas von Brants bekömmlicher Droge als meine Zweite Phiole genommen, und wenn ich es auch nicht wagte, seinen Verdacht zu erwecken, indem ich die Sage von T’Nig ein zweites Mal spielte, brauchte ich doch nur an irgendeine Geschichte zu denken, die Rofdal interessierte und die Brant als Allgemeingut des Geschichtenspielens bekannt war. Ich brauchte nur daran zu denken – und schon würde die Geschichte erscheinen. Mit der stärkeren Droge waren alle Gefahren, daß die Geschichte auf halbem Weg verschwand, mir eine der Figuren aus der Hand glitt oder daß magische und feindliche Geschehnisse dem Publikum zuviel zu denken gäben, dahin. Als Künstlerin war die Geschichtenspielerin sicher und mußte sich weder auf Gefühle noch auf Erfindungsgabe verlassen.
Als Werkzeug fühlte ich mich derzeit außer Gefahr. Ich stand hoch in der Gunst des Königs, und Leonore würde
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