Schalmeienklänge
schlug ich zu und stand gerade vor der großen Truhe am Fußende von Cyndas Bett, als Athio im Türrahmen stand, ins tiefere Dunkel des Zimmers blinzelte und seine Finger locker um den Dolch an seinem Gürtel schmiegte.
»Was war das für ein Geräusch?«
»Der Deckel von Myladys Truhe ist zugefallen. Ich… habe ihn fallen lassen.« Er blinzelte weiter, und ich ging auf ihn zu. »Myladys Schal befand sich ganz unten in der Truhe!« sagte ich und hob meinen Arm, über dem noch das Tuch hing, das ich an mich genommen hatte. Ich schüttelte es ihm entgegen und besah es mir zum ersten Mal selbst richtig.
Es war ein bestickter Nachttopfbezug.
Nun wich meine ganze Geistesgegenwart von mir. Ich hätte mehrere Auswege einschlagen können: mich so drehen, daß mein Körper den Stoff verdeckte, es achtlos an mich knüllen und ihn mit einer munteren Frage zu der Schlägerei drunten ablenken. Nichts von alledem tat ich. Ich schwieg, Eiseskälte kroch mir in den Magen, und das Zimmer drehte sich mir vor den Augen, als ich schnurstracks durch die Tür ging und einen Nachttopfbezug über den Arm gefaltet trug. Ich habe keine Ahnung, warum er mich nicht aufgehalten hat. Vielleicht hatte der Wein seine Sehkraft beeinträchtigt, vielleicht erblickte er die kunstvolle Stickerei und dachte – vernünftigerweise –, daß das, was er für einen Nachttopfbezug hielt, keiner sein konnte, denn nicht einmal eine Dame würde an ein solches Ding soviel Handarbeit verschwenden. Was immer er sah oder dachte, er ließ mich hinaus auf die Galerie und weitergehen. Hinter mir klapperte sein Schlüssel in dem Eisenschloß.
Der andere Wachhabende stand noch am Fenster. Ich ließ sie beide dort zurück und bahnte mir meinen Weg zur lärmenden Menge im Stallhof mit Brants Drogen in meiner Bluse. Ich war gerade bei der ersten der lautstarken, krakeelenden Belustigungen angelangt, als endlich der Regen einsetzte und dicke Tropfen in rascher Folge auf Hof, Palast und Fluß niederprasselten und das Mittsommermaskenspiel der Königin beendeten.
*
Als der Regen einsetzte, ertönte lautes Geschrei vom Stallhof. Es klang weder erfreut noch unzufrieden, sondern lediglich wie von Betrunkenen, die jede Abwechslung willkommen hießen: Vorher hatte es nicht geregnet, nun war es soweit. Männer lachten und tranken ihr Bier aus; Frauen rafften ihre Röcke über den Schlamm; Kinder stießen Freudenschreie aus und begannen im Kreis den Tropfen nachzulaufen. Ein Junge rannte voll in mich hinein, als ich den Weg zu dem unvollendeten Flügel des Palastes einschlug. Er war auf den Fluß zugelaufen, um den Dienern zu helfen, die Kulissen vom Maskenspiel in Sicherheit zu bringen, und sein kleiner Körper prallte so fest gegen den meinen, daß wir beide ins Wanken gerieten. Einen Augenblick lang hielt ich den warmen, schmiegsamen Leib an mich gedrückt, dann ließ ich ihn los, und das Kerlchen lief durch den Regen zum Fluß.
Ich wußte nicht, wieviel Zeit mir bleiben würde. Brant mochte entdecken, daß einige seiner Drogen fehlten oder auch nicht. Rofdal mochte morgen oder am darauffolgenden Tag eine Wiederholung des Geschichtenspiels von T’Nig fordern, und ich wäre in diesem Falle vielleicht nicht dazu in der Lage. Ehe eins von beidem geschah, mußte ich in Erfahrung bringen, was ich von Brant gestohlen hatte und wie man es benutzte, und zwar äußerst schnell. Und es gab noch eine andere Sache, die keinen Aufschub duldete. Wenn ich nun stehenbliebe und zu genau nachdächte über das, was ich vorhatte, würde ich zu große Angst bekommen, es auszuführen. Das Geschichtenspielen beim Maskenfest und der gelungene Diebstahl der Drogen hatten mir unnatürlichen und prickelnden Mut verliehen; der würde verfliegen, wenn ich aufhörte, weiterzumachen, zu handeln und Risiken einzugehen. Um mich selbst zu überlisten, durfte ich gar nicht erst nachdenken.
Agla, das Küchenmädchen, mit dem ich Beerenpflücken war, ging vorüber, dicht an die Seite eines dunkelhäutigen, bärtigen Mannes geschmiegt; ihre vier Arme waren vor und hinter ihnen zu zwei X verschränkt. Ich bezweifelte, daß einer der beiden überhaupt registrierte, daß es regnete. Halb war das körperliche Verlangen und halb der Wein schuld daran, und ich dachte, wenn Ludie ebenso betrunken sein würde, wäre das Glück mir vielleicht hold.
»Agla! Wo ist Ludie?«
Langsam wanderten ihre Augen zu mir; widerwillig sah sie mich. Sie runzelte die Stirn.
»Die Harfnerin, Agla… ich bin die fremde
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