Schalmeienklänge
Großen Saal. Bald… bald mußte ich meinen Zug machen. Meine Finger schlossen sich noch enger um den Ring. Brant sah mir nicht nach. Bald war es soweit.
*
Aber es ging doch nicht so bald. Statt dessen begann jene Zeit langweiliger, ereignisloser Reden nach fieberhafter Erregung, die Zeit des Zögerns und Zauderns nach Hast und Eile. Allabendlich spielte ich im farbenprächtigen Großen Saal vor dem König. Häufig rief mich des Nachmittags ein Lord oder eine Lady in den Sommergarten, in die Sonnenliegehalle oder auf einen Kahn am Fluß, um sie zu unterhalten. Niemals jedoch ließ Brant mich rufen – er sei fortgeritten aus Veliano, erzählte der Waffenmeister des Königs beim Abendessen, um Geschäfte zu erledigen, die mit den Ländereien seines Vaters zu tun hatten. Ob ich denn nicht wüßte, fragte des Königs Waffenmeister verächtlich, daß Mylord Brant aus einer bedeutenden Familie im Norden, aus den Silberstädten stammte?
Ich antwortete, daß ich es wohl wußte.
Die Tage flogen dahin. Kaufleute, Händler und Bergwerkswagen kamen nach Veliano gezogen, und die Höflinge und Steuereintreiber waren die langen Sommertage über beschäftigt. Die Ernte gedieh im heißen Wetter, und Bauern, Käser, Köche und Schäfer rackerten sich den ganzen Tag lang ab. Königin Leonore näherte sich dem Tag ihrer Niederkunft, und die Damen des Hofes nähten und stickten bis spät in die milden Abende hinein. Ein unbedeutenderes Fest der Vier Schutzgötter kam und verstrich mit feierlichem Festmahl und emsigen Priestern in mit goldenen Levkojen bestickten Gewändern. Nur ich, die ich mich um meinen Sohn sorgte und mich nach ihm sehnte, tat nichts weiter, als gelegentlich harmlose Geschichten für jene zu spielen, die nichts von den in Veliano drohenden Gefahren wußten. Und noch immer kehrte Brant nicht zurück. Ritt er wirklich nach Erdulin? Oder suchte er die Weißen Schalmeien, nachdem er Leonore »erzählt« hatte, daß er sie bereits besaß? Hatte er sie tatsächlich gefunden? Oder reiste er dorthin, wo immer man Jorry festhielt?
»Du ißt gar nichts«, meinte Jetain, die Wolkendeuterin des Hofes. Sie schob mir über den Tisch eine riesige geschnittene Keule zu, die berauschend duftete. »Du wirst zu dünn, Geschichtenspielerin. Du wirst noch zusammenbrechen.«
Rofdals Arzt beäugte mich mit professionellem Blick, der sich von Jetains mütterlicher Freundlichkeit unterschied wie Edelsteine von Wolken. Ich vermutete nach der Art, wie er jedes Gespräch mit mir mied, daß er aus irgendeiner Grundbesitzerfamilie stammte. Ein König kann mit einer Geschichtenspielerin plaudern; andere in der gleichen Stellung irgendwo zwischen Diener und Gast können sich keine Mißachtung ihres Ranges leisten.
»Es stimmt schon, daß sie dünn ist, Jetain, aber ich sehe keine Gefahr, daß sie zusammenbricht.«
»Eine Frau muß ein paar Rundungen aufweisen«, erklärte der Waffenmeister des Königs. »Und ein Kleid tragen.«
»Halt den Mund«, fuhr Jetain ihn an. »Fia, du trägst, was du tragen willst.«
»Das werde ich auch«, stimmte ich ihr zu und lächelte. So rund und gemütlich sie aussah, konnte sie doch in rechten Zorn über das geraten, was sie als männliche Dummheit ansah.
»Aber für mich siehst du zu dünn aus«, fuhr Jetain besorgt fort. »Und blaß. Spielst du heute abend?«
»Ja.«
»Ich werde dir etwas Puder geben. Nur um dir ein wenig die Wangen zu röten und die schlimmste Blässe zu mildern, Geschichtenspielerin. Das macht schon etwas aus.«
»Ich danke dir.«
»Eine Frau sollte sich immer pudern«, erklärte der Waffenmeister. »Glatt und rosig wie Mylady Cynda.«
Jetain schnaubte. Der Waffenmeister grinste sie an, und sie senkte den Blick auf ihren Teller.
»Nun, Wolkendeuterin, findest du Mylady denn nicht wunderschön?«
»Sie ist wunderschön«, gab Jetain zähneknirschend zu. Sie hatte den trotzigen Gesichtsausdruck von jemandem, der sich weigert, mehr zu sagen.
Der Arzt schnitt eine Grimasse und machte sich nicht die Mühe, seinen Abscheu gegenüber der Unterhaltung zu verbergen. »Falls es jemanden interessiert, es ist eine neue Karawane in Veliano eingetroffen. Sie kommt, glaube ich, von Albastrina. Oder Perle?«
»Du könntest doch eine Stadt nicht von der anderen unterscheiden«, meinte Jetain. »Einige der Händler müssen sich im Schloß aufhalten. Bei dem Getöse, mit dem die Männer einritten!«
Der Arzt lächelte überheblich.
»Das waren nicht die Händler, Wolkendeuterin,
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