Schalmeienklänge
Dunkelheit des Treppenhauses kauerte. Aber Cynda lachte leichthin, und dann erklang ein leises Klatschen auf Haut, als hätte sie ihn spielerisch geschlagen.
»Ihr gesteht mir nichts zu, was Euch gehört, wie? In diesem Punkt könnte ich Euch eine Überraschung bereiten, Mylord. Aber gut, ich will es Euch sagen: Colys. Was wollt Ihr nun tun – ihn enthaupten lassen?«
»Ich bin kein König, um Enthauptungen anzuordnen.«
»Armer Colys! Und sein einziges Verbrechen besteht in seiner Gefolgschaftstreue gegenüber seiner Herrin, die sich nicht einmal von Königen beherrschen läßt. Ich denke, Leonore wird heute abend niederkommen. Ihr scheint der einzige am Hofe, der sich nicht dafür interessiert. Ihr habt Euch niemals für dunkelhaarige Frauen interessiert. Warum verbietet Ihr mir tatsächlich, in den Wald zu reiten, Brant? Dort ist es nicht mehr ungefährlich. Warum? Räuber? Drachen? Dein geheimnisvoller versteckter Knabe?«
Die Männer der Königin, dachte ich. Eine heimliche Armee, die die Bewußtseinskünste praktiziert.
»Ich«, erklärte Brant, und mir fiel sein bewußter Tonfall und die Verachtung dahinter auf. Galt die ihr oder ihm selbst? »Ihr werdet nicht sicher vor mir sein, weil ich es verbiete.«
»Aha«, sagte Cynda leise und in die Länge gezogen, und mir wurde klar, daß sie diese Äußerung mit Vergnügen aufnahm. Welches größere Kompliment durch einen Sterblichen als sein Versuch, die Sonne in seine Gewalt zu bekommen? Das hatte Brant beabsichtigt, und sein billiger Trick funktionierte. Sie lauschte, wenn auch nur aus Eitelkeit.
Das war die Frau, die zu heiraten er einst beschlossen hatte.
Von unter uns ertönte ein durch die Entfernung gedämpfter Schrei. Cynda erklärte: »Ich werde gehen, der Königin beizustehen, zum Teufel mit ihr! Ich hoffe, das Kind kommt tot zur Welt. Schockiert Euch das?«
»Nein«, antwortete Brant, und sie lachte.
Ihre Schritte kamen auf mich zu. Ich versuchte, hinter einen Zipfel des Wandbehangs zu schlüpfen, aber die einzige Möglichkeit dazu hätte zur Folge, daß man mich von der Sonnenliegehalle aus sähe. Ich konnte mich nur in die tiefste Dunkelheit drücken, und der alberne Zyrettenkäfig wölbte sich zu meinen Füßen in den Raum.
Der Vorhang wurde angehoben. Cynda rauschte an mir vorüber. Das Mieder ihres Kleides war zerrissen; mit einer Hand hielt sie den Riß zusammen, den sie selbst verursacht hatte. In der anderen hatte sie unsinnigerweise einen vom Regen gestreiften breitrandigen Hut, wie Männer ihn auf Reisen trugen. Sie mußte ihn Brant abgenommen haben. Ihr Gesicht, auf das einen kurzen Augenblick lang Licht von der Sonnenliegehalle oben fiel, wirkte, wie ich es stets auf den nachmittäglichen Vergnügungsgesellschaften oder bei den abendlichen Mahlzeiten im Großen Saal an der Seite des Königs gesehen hatte: lächelnd, errötet, selbstsicher bis auf die allzu strahlenden Augen. Eine Frau, die für alles Schmutzige viel zu schön war.
Sie bemerkte den Zyrettenkäfig nicht einmal.
Ich sah ihr nach, wie sie die restlichen Stufen hinabstieg, und hielt den Atem an, aber Brant tauchte nicht aus der Sonnenliegehalle auf. Die Augenblicke zogen sich in die Länge. Das Licht an der Treppenbiegung, das durch ein Fenster weiter unten sickerte, wurde fahler. Wir mußten uns kurz vor oder nach Sonnenuntergang befinden.
Sie war also gekommen, die Gelegenheit, auf die ich so verzweifelt hingearbeitet hatte. Brant war alleine. Und alles, was ich gerade gehört hatte, drängte mich weiter. Was würde eine Cynda, die dafür gesorgt hatte, daß Ard unter Schmerzen starb – nicht etwa, weil sie Bewußtseinskünste praktizierte, an die Cynda nicht glaubte, sondern weil sie mit Brant geschlafen hatte – was würde eine solche Cynda mit einem »fremden Jungen« anstellen, wenn sie erführe, daß er Brants Sohn war?
Aus meiner Bluse zog ich die Erste Phiole und trank sie leer. Dann zog ich den messingnen Betäubungsring hervor, den ich vor über zehn Jahren gekauft hatte, als ich mit Jorry schwanger ging. Eine schwangere Frau ohne Heim und Rang ist ein leichtes Angriffsziel, aber wer bei Mutter Arcoa lebt, erfährt von Dingen, von denen andere nichts wissen. Von einem ausländischen Dieb hatte ich den seltenen und kostbaren Betäubungsring gekauft und dann so vorsichtig gelebt, das heißt, ich hatte alle Gelegenheiten fürs Geschichtenspielen ausgeschlagen, wenn ich nur das geringste körperliche Risiko befürchtet hatte und war immer darauf bedacht,
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