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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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schlug bereits die Augen auf, als ich seine Füße mit einer ledernen Zyrettenleine band. Wieder stürzte ich zum Fenster, atmete aus und holte wieder Luft. Der zitronenartige und täuschend frische Geruch des Gases war fast verschwunden. Ich zog den leeren Ring von meinem zitternden Finger. Die Leine mußte Cynda gehört haben, denn ihr hatte ich die Zyrette bringen sollen.
    Brant war wieder bei Bewußtsein, nur seine Stimme klang noch etwas belegt.
    »Ein Betäubungsring. Und gerade du hast so etwas.«
    Ich sagte zögernd: »In Veliano gibt es sie noch nicht.«
    »Und auch nicht in den meisten Silberstädten. Woher hattest du soviel Gold, Fia?«
    »Ich hatte es dir gestohlen. Wo ist Jorry?«
    Nun konnte ich sein Gesicht sehen. Im Licht der untergehenden Sonne schimmerten Cyndas Kratzer lebhaft. »Jorry ist irgendwo in Sicherheit. Binde mich los.«
    Als Antwort zog ich die Zweite Phiole heraus und trank sie leer.
    Wieder kam die graue Leere, und aus der Leere überflutete die undefinierbare Musik mein Denken mit einem Laut, der zu wortlosem Licht wurde und dann Schichten freilegte, von deren Existenz ich nichts gewußt hatte. Dann kehrte das Zeitgefühl zurück, und mit ihm die Sonnenliegehalle und Brant, dessen Blick von der Zweiten Phiole zu meinem Gesicht wanderte. Ich mußte daran denken, wie er mich an jenem ersten Abend in Veliano eine Diebin genannt hatte: Diebin, Lügnerin, Hure.
    Ich ließ mich von der Musik tragen und berührte seinen Geist.
    Da man einmal in mein Bewußtsein eingedrungen war, wußte ich, daß er es nicht spürte. Aber ich spürte es, und es war ebenso schlimm wie zuvor bei Ludie: eine klägliche Blasphemie, eine Art Vergewaltigung. Ich spreizte die Hände.
    »Brant, wo steckt Jorry? Denke an den Ort, an welchen du Jorry geschickt hast. Wo ist mein Sohn?«
    Er starrte mich weiter an. Ich schwenkte meinen Blick zu dem Nebel zwischen meinen Händen… Angst, Panik, Scham, Wut – das alles verdrängte ich und dachte an die Pferde, die mit meinem über dem Sattel liegenden Sohn den Gasthof verlassen hatten. Für diesen Augenblick hatte ich die Drogen gestohlen, den Betäubungsring vergeudet, der armen Ludie wirres Denken bestürmt und stand nun wieder in Reichweite von Brants Fäusten. Ich wollte mich jetzt nicht durch meine Angst handlungsunfähig machen.
    Der Nebel kreiste schneller. Dann hieb ein Schwert zwischen Brants Denken und meines, und Nebel und Musik erstarben.
    Ich sah mit einem Ruck hoch in seine Augen.
    »Für jeden Angriff gibt es eine Parade, Fia. Du bist niemals Soldat gewesen. Binde mich los. Nein, schau nicht so. Du hast keine Möglichkeit, etwas gegen ein mit seinen eigenen Künsten gewappnetes Bewußtsein zu unternehmen.«
    Wenn er log, so wußte ich keine Möglichkeit, es zu beweisen. Ich starrte ihn benommen an.
    »Hör zu, Fia. Wenn es so einfach wäre, würden Leonore und ich dann einander umschleichen und uns einer albernen Geschichtenspielerin bedienen, um ihr zu entlocken, was der andere weiß? Wir würden direkt in das Denken des anderen eindringen, so wie ich das bei dir gemacht habe, die kein Gegenmittel kannte. Das begreifst du doch; ich hatte unterschätzt, wieviel du begreifst. Binde mich los. Wenn jemand die Treppe heraufkommt und uns so vorfindet, sind du und ich und Jorry in noch größerer Gefahr.«
    Mein einziger Plan lag um mich her in Scherben. Ich traute ihm nicht, aber ob ich ihm traute oder nicht, machte nun keinen Unterschied. Die Geschichten und Lügen, die wir alle aufbauten – er, Leonore, ich und Cynda –, hatten mich soweit verstrickt, daß ich mich nicht mehr in der Position befand, einen anderen, besseren als den soeben gescheiterten Plan zu entwickeln. Nun erfüllte mich Verzweiflung wie Augenblicke zuvor die Musik.
    Ich zog Brants Dolch von seinem Gürtel.
    Als ich die Klinge zu der Schärpe führte, die ihn fesselte, blitzten seine Augen im hereinbrechenden Zwielicht. Ich hielt inne, als wir uns beide plötzlich des Messers in meiner Hand bewußt wurden und gleichzeitig Brants Hilflosigkeit auf dem Steinboden. Nun würden ihm weder seine Fäuste noch sein gesellschaftlicher Stand etwas nützen. Kein Laut erklang in dem Raum.
    »Brant«, sagte ich langsam. »Brant… warum hast du dafür gesorgt, daß Leonore mich am Leben ließ?«
    Er antwortete ohne ein Wimperzucken, das die Lüge hätte entlarven können. »Weil ich dich vor Rofdal benutzen mußte.«
    »Zu einem Zweck, der die Gefahr nicht aufwiegen konnte, in die du dich begabst, als

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