Schalmeienklänge
meine Begleiter nicht nach ihrer Intelligenz, sondern nach der Sicherheit auszusuchen, die sie mir boten, und hatte stets so lange wie möglich mit den gleichen Schauspielern zusammengelebt, daß ich den Betäubungsring niemals brauchte. Er war nur einmal zu benutzen. Und ich würde ihn nun einsetzen.
Ich zog den Kupferring an den Ringfinger meiner rechten Hand. Der daran befestigte ovale Zylinder schmiegte sich in meine Handfläche, und der kleine Knopf, der den Mechanismus auslöste, saß so gegenüber meinem Daumen. Ich stellte den Zyrettenkäfig direkt in die Mitte der ersten Stufe (es mochte ihn vielleicht für einen entscheidenden Augenblick durcheinanderbringen, oder mit etwas Glück stolperte er sogar darüber) und wartete, daß Brant aus der Sonnenliegehalle käme.
Er kam nicht.
Panik begann mich wie Nadeln zu quälen. Das Warten war schlimmer als der Diebstahl der Drogen mit den Wachleuten auf dem Flur, schlimmer als Leonores forschendes Verhör, sogar noch schlimmer, als vor dem König zu stehen in der Ungewißheit, wessen Geschichte sich zwischen meinen Händen entwickeln würde. Nun entwickelte ich meine eigene Geschichte: meine und Jorrys.
Schließlich konnte ich das Warten nicht länger ertragen. Das düstere, enge Treppenhaus wäre für den Betäubungsring das beste gewesen, nichtsdestoweniger hob ich nun den Zyrettenkäfig auf und zog den Wandteppich beiseite. Sogleich sah ich, was für eine Närrin ich gewesen war.
Brant stand mit mir zugewandtem Rücken am offenen Fenster. Natürlich waren alle Fenster offen, und die Sonnenliegehalle war so gut durchlüftet wie eine Baumkrone. Nun konnte ich nur noch versuchen, ihn zur Tür zu locken, und ich war mir nicht einmal sicher, ob das ausreichend nützen würde.
Als ich eintrat, drehte er sich um. Hinter ihm ging die Sonne unter, so daß sein Gesicht im Dunkeln lag. Aber auf einer Wange sah ich die langen, blutigen Kratzer von Cyndas Nägeln.
»Ich sollte die Zyrette bringen. Für Lady Cynda.«
»Sie ist nicht hier.« Tonlos, und doch nicht ganz. Ich konnte nicht näher hinzutreten, sein Gesicht zu sehen, er mußte zu mir kommen. »Stell die Zyrette hin und geh.«
Ich hielt den Käfig in die Höhe. »Die Zyrette ist verletzt, Mylord.«
Er tat keinen Schritt. Das dumme Reptil gurrte im Schlaf, und dieser Laut klang zufrieden und wohlauf. Meine Panik geronn zu Angst. Weshalb sollte er den Raum um einer Zyrette willen durchqueren? Ich hätte es nicht getan.
»Brant«, sagte ich, und diesmal ließ nichts in meiner Stimme die Anrede »Mylord« erwarten, »es war ein Fehler, die Königin zu verleiten, mich am Leben zu lassen.«
Ich erzielte den gewünschten Effekt: Er durchquerte den Raum von den Fenstern zu mir und stand plötzlich so schnell vor mir, daß ich zusammenzuckte. Sein Geruch brachte die Erinnerung an die Berghütte und die Wucht seiner Fäuste zurück. Ich rang um Ruhe, doch ich hörte das Beben aus meiner Stimme.
»Ich weiß, daß du das alles arrangiert hast. Die Verprügelung, die Sage von T’Nig, alles, um Leonore zu zwingen, mich am Leben zu lassen. Warum?«
Er sagte nichts, sondern schaute mich nur eingehend an. Ganz langsam hob ich mit mir zugewandter Innenfläche die rechte Hand, als wollte ich die blutigen Kratzer auf seiner linken Wange streicheln. Seine Augen wurden dunkler, sein Blick ruhte in meinem, und ich drückte vorschriftsmäßig den Auslöser des Betäubungsringes mit dem Daumen – zweimal kurz, einmal lang.
Er wußte schon bei der ersten Nebelschwade Bescheid. Er versuchte, sich zum Fenster zu stürzen, doch er hatte den Mund geöffnet gehabt, während er mir zuhörte, und sein Atem war ein wenig beschleunigt gewesen. Die Betäubungsringe wirken sehr schnell; wäre dem nicht so, wären sie weniger nützlich und zugleich weniger teuer. Innerhalb weniger Sekunden brach Brant zu Boden.
Sowie ich den Auslöser betätigte, hatte ich die Lippen fest zusammengepreßt und begonnen, langsam durch die Nase auszuatmen. Nun stürzte ich ans Fenster, beugte mich hinaus und so weit ich konnte in den Wind, um rasch Luft zu holen. Doch das Lüftchen wehte auch in die breiten Fenster des Sonnenliegeraumes herein. Hinter mir rührte sich Brant am Steinboden schon wieder.
Ich atmete tief ein, hielt die Luft an und löste eine Schärpe von meiner Kittelbluse. Ich hatte an ein Seil gedacht, doch es war keines zu sehen. Mit meiner Schärpe band ich Brant die Hände auf den Rücken und schaute mich dann hektisch in dem Raum um. Er
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