Schalmeienklänge
nicht dem Wahnsinn, sondern der Schwäche eines Geistes, der nur ein Licht kannte und miterlebt hatte, wie es erloschen war. Rofdal hatte sie verstoßen, Brant war fort, die Höflinge, die um sie herumscharwenzelt waren und ihr geschmeichelt hatten, waren immer weniger geworden. Ohne Männer besaß ihr Licht keinen Spiegel, und sie kauerte ängstlich im Dunkel und konnte den Blick nicht nach vorne richten. Aber sie schaute hoch, als ich auf sie zutrat.
»Geschichtenspielerin.«
Ich verbeugte mich. Sie wartete ohne Neugier oder Interesse, daß ich vortrug, was immer ich zu sagen gekommen war. Als ich mich verneigte, fiel mein Blick auf ihre Füße, ihr einziger Körperteil, der in Bewegung war: schlanke, weiße nackte Füße, deren Zehen sich auf dem gebohnerten Boden verkrampften und wieder lösten, und auf den Nagel des großen Zehs war eine so kunstvolle Rose gemalt, daß gewiß jemand damit einen Tag lang beschäftigt gewesen war. Die Füße stanken. Unablässig zuckten ihre Zehen, verkrampften und lösten sich. Das war die Frau, die ich gefürchtet und beneidet hatte.
»Laß uns allein«, sagte ich zu dem Mädchen, und es gehorchte. Sie sah nach einem schreckhaften, derben Kind vom Lande aus, das nicht älter als vierzehn sein konnte. Wo waren Cyndas Kammerfrauen, diese schlicht aussehenden, sanften Dienerinnen, die sie sich selbst für ihre Umgebung ausgesucht hatte? Tanzten sie im Großen Saal, schmeichelten sie der Mutter des Thronfolgers, oder hatten sie sich irgendwo verängstigt und verwirrt zurückgezogen?
»Lady Cynda. Könntet Ihr einen Schluck Wein trinken?«
Sie antwortete nicht. Doch als ich ihr den gefüllten Pokal brachte, nahm sie ihn entgegen und trank, um hernach in die gleiche stumpfsinnige Apathie zu verfallen. Von einem nicht annähernd so wohlgesonnenen Gefühl wie Mitleid bewegt erwog ich, ihr Seife, Wasser und einen Kamm zu holen. Aber dazu war keine Zeit.
Sie schwieg, während ich meine Zweite Phiole trank, mich auf den Boden zwischen ihr und der gegenüberliegenden Wand hockte, daß meine offenen Handflächen für sie hinter der Truhe, aus welcher ich einst einen bestickten Nachttopfbezug entwendet hatte, verborgen blieben. Dann kam der einzig gefährliche Teil.
»Lady Cynda. Als Ihr in die Berge rittet, als Ihr allein in die Berge rittet, wohin gingt Ihr da?«
Sie erschrak heftig und erhob sich halb von ihrem Schemel. Röte stieg ihr in die Wangen, ihr Mund zuckte, und einen Augenblick lang sah sie aus wie ein vereinfachtes und groteskes Zerrbild ihrer eigenen Schönheit. »Wache!« krächzte sie, aber nur einmal. Ihr Blick verfing sich in einem goldgerahmten Spiegel an der Wand. Stöhnend sank sie auf ihren Schemel zurück und vergrub den Kopf zwischen den Händen.
»Denkt daran«, drängte ich sie, »wie Ihr in die Berge zu Ards Hütte rittet.«
Cynda stöhnte hinter den vorgehaltenen Händen hervor.
Zwischen meinen Händen ritt eine strahlende und liebreizende Cynda zu Ards Hütte. Ich beobachtete sie aufmerksam, hielt meinen Blick auf die Windungen des Weges, auf Markierungen durch Felsen und Furten geheftet und wahrte die Verbindung meines Bewußtseins zu dem ihren, auch wenn es mich erschauern ließ. Ich erzwang mir den Zugang zu einem Ort, an dem ich nichts zu schaffen hatte, und es fühlte sich an, als dränge ich mit einem Schwert in einen Körper ein, um ihn zerfetzt und verwüstet zurückzulassen. Cynda jedoch bewegte sich nicht einmal. Als ich alles gesehen hatte, was ich brauchte, rief ich das Mädchen aus dem Nebenzimmer. Es wußte nicht, daß ich nicht von adligem Stand war und deshalb nicht das Recht zu anmaßenden Befehlen wie die Reichen hatte.
»Sieh zu, daß sie gewaschen wird und zu essen bekommt.«
»Mylady…, sie will nicht. Ich habe es versucht…«
»Versuch es noch einmal. Sie muß zumindest essen. Ich mache dich dafür verantwortlich.«
»Ja, Mylady.« Sie schaute entsetzt drein, und ich schämte mich. Es ging so einfach. Trotzdem milderte ich meine Befehle nicht.
Cynda schaute zu mir hoch, als ich hinausging. Ich glaubte in der Stumpfheit ihrer Augen, hinter der jammernden Hilflosigkeit etwas aufflackern zu sehen, das noch nicht ganz erloschen war, etwas wie Schläue oder Scharfsichtigkeit. Dann vergrub sie wieder den Kopf in den Händen. Mir fiel auf, daß ich sie verachtete und eigentlich nicht das Recht dazu hatte. Ein Bewußtsein, das aus sich selbst nur eine Geschichte hervorbringen kann, besaß nicht die freie Entscheidung darüber. Und
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