Schalmeienklänge
sie konnte auch nicht darüber entscheiden, daß eines anderen Geschichte in sich zusammenbrach. Trotzdem verachtete ich sie.
*
Gegen Einbruch der Dunkelheit ritt ich zu Ards Hütte. Endlich ging die späte Sommersonne blutrot vor der dunklen Silhouette der Berge unter, und die gewundenen Pfade lagen bereits im Schatten, so daß es schwer war, nicht von ihnen abzukommen. Mein Pony war selten genug bewegt worden, seit wir mit Kalafas Karawane durch die Berge nach Veliano gestolpert gekommen waren, und es keuchte nun vor Anstrengung. Der Weg lag immer mehr in Finsternis. Als ich seine Spur im Dämmerlicht ganz und gar verlor und nicht mehr sicher war, ob Cyndas Bilder noch mit den Wegmarkierungen um mich her übereinstimmten, stieg ich auf einer kleinen Lichtung ab. Ich sah keine andere Möglichkeit, als irgendwo auf den Mondaufgang zu warten. Meine Handflächen waren feucht, als ich mein Bein über das schwer atmende Pony schwang, und der Sattel zwischen meinen Knien fühlte sich klebrig an.
Bäume raschelten im Abendwind. Irgendwo in der Nähe blühten Levkojen; ich roch ihren süßen und berauschenden Duft in der Dunkelheit. Mit dem Geruch kamen auch die Geräusche von Insekten, deren Sirren selbst das Keuchen meines Ponys und das laute Pochen meines Herzens übertönte. Die Insekten in der Dunkelheit summten, und das Summen schwoll an und wurde leiser im monotonen Rhythmus eines Gesangs.
Schützt meinen Leib vor Verbrennung
Schützt meine Sinne vor Betörung
Schützt mein Bewußtsein vor Machtlosigkeit
Schützt meine Seele vor Bedrängnis -
Levkojen.
Aber ich besaß keinen Schutz gegen solche Gefahren, ebensowenig wie Brant ihn trotz all seiner Bewußtseinskünste besaß. Es gab keinen Schutz, nicht wenn aufeinanderprallende Kräfte die Welt aufrührten und ungeachtet dessen, daß diese Kräfte, wie Brant an jenem Abend gespottet hatte, als er mir Jorry nahm, nicht irgendeinem unnatürlichen Bösen, sondern nur dem menschlichen Denken selbst entsprangen. Diese Kräfte waren ausreichend stark. Ich hatte recht gehabt, und Brant war im Irrtum: Die einzige Möglichkeit für die Kleineren, wenn die großen Kräfte in Bewegung gerieten, bestand darin, ihnen aus dem Weg zu gehen. Einer Verstrickung zu entfliehen.
Das alles sagte ich mir, um meinen Mut zu stärken, als ich alleine auf der dunklen Lichtung wartete, der es natürlich völlig gleichgültig war. Endlich ging der Mond auf, der herrlich volle, tiefstehende Mond des Spätsommers, der mehr als genug Licht zum Reiten verströmte. Ich stieg auf und ritt erneut einer Verstrickung entgegen.
Ich hatte diesen Weg schon einmal gesehen, und nicht nur in Cyndas Geschichte. Lange Zeit handelte es sich um den Pfad zwischen dem Schloß und der zerfallenen Hütte, wo Brant mich geschlagen hatte. Dann verzweigte sich der Weg, und ich folgte einer schmalen Spur einen steilen, bewaldeten Hügel empor in entgegengesetzter Richtung von der Hütte. Später wurde der Anstieg noch steiler, das Unterholz dichter und der Weg immer mühsamer. Mehrmals glaubte ich, von ihm abgekommen zu sein. Doch dann ritt ich weiter bergauf, denn ich wußte von Cynda, daß ich den Kamm des kleinen Berges überwinden mußte. Keine Reisenden hätten jemals zufällig auf das kleine Haus stoßen können.
Auf dem Gipfel des Hügels endete der Wald, und das Gelände fiel zu einer verborgenen Senke ab, die einmal zu einem Bauernhof gehört hatte. Ich ritt an zerfallenen Zäunen, Kuhställen und den Grundmauern eines leeren Schweinestalles vorbei, die alle unnatürlich still und vom Mondschein versilbert waren. Hier sangen keine Insekten, hier wehte kein Windchen. Doch ich fühlte, wie sich meine weichen Nackenhaare aufrichteten.
Das kleine Haus stand unversehrt, die Tür war verschlossen. Ich warf mich gegen sie, deren Lederangeln weit älter waren als das Schloß und schließlich nachgaben, so daß die Tür polternd nach innen fiel. Das Poltern ließ mir, die ich es doch selbst verursacht hatte, den Atem stocken vor Angst, so fehl am Platze wirkte es in der silberbeschienenen Stille. Mit pochendem Herzen lauschte ich angespannt. Nichts rührte sich.
Ich ließ mein Pony im Gras weiden, entzündete eine Fackel und stieg über die Tür in Ards Hütte.
Bei Tag, ohne die Finsternis und das mondbeschienene Schweigen mochte sie vielleicht anders, vielleicht nur erbärmlich gewirkt haben.
Aber jetzt war Nacht, und in der dunklen Stille erschienen die Gegenstände schwer erkennbar und weit
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