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Schalmeienklänge

Schalmeienklänge

Titel: Schalmeienklänge Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nancy Kress
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es mit der stärksten Bewußtseinsdroge versuchen, die ich kannte, dem stinkenden Schimmel, mit dessen Hilfe sie in mich eingedrungen war. Diese verzweifelte Idee war mir im Geweihten Garten gekommen.
    Innerhalb weniger Augenblicke wußte ich, daß diese wie die meisten aus Verzweiflung geborenen Ideen fehlschlagen würden.
    Das Bewußtsein des Babys fühlte sich anders an als Ludies oder als die kurze Berührung von Brants Denken. Es war der Unterschied zwischen der Berührung von erwachsenem Fleisch, das man durch einen widernatürlichen Schnitt bis zum Knochen aufriß, und dem Gefühl von kindlichem Fleisch, das unversehrt, aber noch so nachgiebig war, daß es sich jeder Sondierung fügte, ohne daß man einen Schnitt hätte ansetzen müssen. Ich mußte daran denken, wie sich Jorrys Kopf angefühlt hatte, als er klein und sein Schädel noch weich gewesen war. Sein kleiner Schädel hatte unter meinen vorsichtigen, verwunderten Fingern nachgegeben, und es war das gleiche Gefühl gewesen wie das nachgiebige Bewußtsein des Prinzen. Doch die Ergiebigkeit war ebenso wie der Schädel weitgehend konturlos. Zwischen meinen Handflächen war der pinkfarbene Nebel schwarz geworden: Es war eine samtene, lebendige Schwärze, die regelmäßig pulsierte, jedoch keine Bilder, keine Geschichten lieferte, nur das gleichmäßig gepolsterte Dunkel.
    Ich sah Leonores Gebärmutter vor mir.
    Lessy sagte zweifelnd: »Das soll eine Geschichte sein?«
    »So laß ihr doch etwas Zeit«, fuhr Rog sie an.
    Der dunkle Nebel veränderte sich nicht. Wenn er Erinnerungen enthielt, so blieben sie verborgen. Dann explodierte der Nebel plötzlich zu Licht: ein grellweißer Einbruch von Sonnenlicht. Mein Publikum beugte sich nach vorn. »Aaah!« Atemlos warteten sie darauf, daß etwas anderes geschähe.
    Doch es kam nichts. Aus der pulsierenden Schwärze der Gebärmutter war das pulsierend nebelhafte Licht von Rofwolds Geburt geworden, und dabei blieb es auch.
    »Cul, sie hat starkes Zeug getrunken«, meinte Rog zu meiner Verteidigung. »Das ist keine gute Gelegenheit für eine Geschichte.«
    Wieder hatte ich versagt. Brant würde unter dem Messer sterben. Ich würde Jorry niemals wiederfinden.
    Verzweifelt öffnete ich die Tür meines Bewußtseins, und die wilde, alles übertönende Musik strömte herein.
    »Fangt sie auf«, schrie Lessy. »Sie bekommt einen Anfall!«
    »Faßt… faßt mich nicht an!« kreischte ich über das Dröhnen der Musik, und sie ließen es auch bleiben. Und zwischen meinen Handflächen entstand das Bild.
    Aber es stammte nicht von dem Baby Rofwold. Das Bild kam aus meiner eigenen Psyche, vom einzigen anderen Mal, da ich mit der Schimmeldroge in Berührung gekommen war, es stammte aus dem Gemisch von Brants Lügen, meinem Entsetzen und Leonores Hoffnungen, und ich erkannte das Bild wieder, denn ich hatte es schon einmal gesehen.
    Brant war fast durchsichtig, und seine Umrisse veränderten sich ständig, wie das die Gestalten gewöhnlicher Geschichten niemals tun. Neben ihm saß ein nacktes Mädchen rittlings auf einem Schwein, und ihr langes blondes Haar fiel über sie und das schmutzige Schwein hinab. Ihr Gesicht war ständig verzerrt, schmolz dahin, daß die Augen bald in die Nase übergingen und sich dann wieder zu einem so schrecklichen Grinsen wie in Todesstarre verzogen. Brants Gesicht waberte ebenfalls, aber nicht so wild und nicht mit dem gleichen lüsternen Seitenblick. In den dahinziehenden Nebeln sah es aus, als sprössen Gegenstände aus dem Körper des Mädchens: Pilze aus ihren Brüsten, ein Dolch aus ihrer Seite, lange, haarige Wurzeln, dick wie Männerdaumen und blaß wie Maden, aus ihren Schenkeln. Immer noch grinsend und ohne sich von dem Schwein zu rühren, pflückte sie die Gewächse von ihrem Körper und reichte sie Brant. In seinen Händen verwandelten sich die Pilze in etwas Schleimiges, Bewegliches, das ich nicht deutlich erkennen konnte. Der Dolch wurde blutig, und Hautfetzen klebten an ihm. Die Frau reichte Brant den Dolch, entriß ihn ihm dann wieder und gab ihm statt dessen die madigen Wurzeln, und er nahm sie in die Hände.
    Aus den fahlen Wurzeln wurden die Weißen Schalmeien.
    »Oh, bringt sie zum Einhalt!« stöhnte Lessy. »Sie stirbt!« Rog packte mich am Arm; ich schlug ihn fort wie eine Fliege. Dabei riß ich die Hände auseinander, die Bilder verschwanden, und die wilde, tödliche Musik überflutete mein Denken.
     
    *
     
    Rogs Gesicht war über mich gebeugt. Ich fühlte hölzerne Planken

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