Schande
unbedingt. Aber als Lehrer haben wir eine Machtposition. Vielleicht ein Verbot, Machtbeziehungen mit sexuellen Beziehungen zu vermischen. Was meinem Empfinden nach auf diesen Fall zutraf. Oder äußerste Vorsicht.«
Farodia Rassool schaltet sich ein. »Wir bewegen uns wieder im Kreis, Herr Vorsitzender. Ja, er sagt, daß er schuldig ist; aber wenn wir Genauigkeit im Detail wollen, läuft sein Geständnis plötzlich nicht mehr auf den Mißbrauch einer jungen Frau hinaus, sondern auf einen Drang, dem er nicht widerstehen konnte, und von dem Schmerz, den er verursacht hat, ist keine Rede, und auch nicht von der langen Geschichte der sexuellen Ausbeutung, in die das einzuordnen ist. Deshalb sage ich, daß ein Fortführen der Debatte mit Professor Lurie sinnlos ist.
Wir müssen sein Geständnis für bare Münze nehmen und unsere Empfehlung danach richten.«
Mißbrauch: auf das Wort hat er gewartet. Mit einer vor Selbstgerechtigkeit bebenden Stimme gesprochen. Was sieht sie, wenn sie ihn anschaut, das ihren Zorn so unvermindert anhalten läßt? Einen Hai unter den hilflosen kleinen Fischlein? Oder hat sie ein anderes Bild vor Augen: ein großer, kräftiger Mann, der sich über eine Mädchenfrau hermacht, eine Pranke, die ihre Schreie erstickt? Wie absurd! Dann fällt ihm ein: gestern waren sie hier im selben Raum versammelt, und sie saß vor ihnen – Melanie, die ihm kaum bis zur Schulter reicht. Ungleich: wie kann er das leugnen?
»Ich neige zu Dr. Rassools Meinung«, sagt die Wirtschaftsfrau. »Wenn Professor Lurie nicht noch etwas hinzufügen möchte, denke ich, wir sollten zu einem Entschluß kommen.«
»Bevor wir das tun, Herr Vorsitzender«, sagt Swarts, »möchte ich Professor Lurie ein letztes Mal eindringlich bitten. Gibt es nicht eine Art Erklärung, die er zu unterschreiben bereit wäre?«
»Warum? Warum ist es so wichtig, daß ich eine Erklärung unterschreibe?«
»Weil es helfen würde, eine inzwischen äußerst heiße Situation abzukühlen. Wir alle hätten es vorgezogen, diesen Fall außerhalb des grellen Lichts der Medien zu verhandeln. Aber es war nicht möglich. Er hat viel Aufmerksamkeit erregt, er hat Untertöne bekommen, die wir nicht mehr steuern können. Alles schaut auf die Universität, um zu sehen, wie wir damit umgehen. Wenn ich dich höre, David, entsteht bei mir der Eindruck, du kommst dir ungerecht behandelt vor. Das ist völlig falsch. Wir in diesem Ausschuß sehen unsere Aufgabe darin, einen Kompromiß auszuhandeln, der dir gestattet, deine Stelle zu behalten. Deshalb frage ich, ob es nicht eine Art öffentlicher Erklärung gibt, mit der du leben könntest und die uns erlauben würde, etwas anderes als die äußerste Sanktion, nämlich unehrenhafte Entlassung, vorzuschlagen.«
»Du meinst, ob ich mich demütige und um Gnade bitte?«
Swarts seufzt. »David, es ist nicht hilfreich, wenn du unsere Bemühungen verspottest. Erkläre dich wenigstens einverstanden mit einem Aufschub, damit du deine Position überdenken kannst.«
»Was soll denn der Inhalt der Erklärung sein?«
»Ein Eingeständnis, unrecht gehandelt zu haben.«
»Das habe ich eingestanden. Freiwillig. Ich bin schuldig im Sinne der gegen mich vorgebrachten Anklagen.«
»Versuch keine Spielchen mit uns, David. Es ist ein Unterschied, ob man sich im Sinne einer Anklage schuldig bekennt oder ob man zugibt, sich falsch verhalten zu haben, und das weißt du.«
»Und das würde euch genügen: ein Eingeständnis, daß ich mich falsch verhalten habe?«
»Nein«, sagt Farodia Rassool. »Damit wären wir wieder am Anfang. Zuerst muß Professor Lurie seine Erklärung machen. Dann können wir entscheiden, ob wir sie als strafmildernd annehmen können. Wir verhandeln nicht zuerst darüber, was in seiner Erklärung stehen sollte. Die Erklärung sollte von ihm kommen, in seinen Worten. Dann können wir sehen, ob sie von Herzen kommt.«
»Und Sie trauen es sich zu, das herauszulesen, aus den Worten, die ich benutze – herauszulesen, ob es von Herzen kommt?«
»Wir werden sehen, welche Einstellung Sie zum Ausdruck bringen. Wir werden sehen, ob Sie Reue zum Ausdruck bringen.«
»Gut. Ich habe meine Stellung gegenüber Frau Isaacs ausgenutzt. Das war verkehrt, und ich bereue es. Genügt Ihnen das?«
»Die Frage ist nicht, ob es mir genügt, Professor Lurie, die Frage ist, ob es Ihnen genügt. Drückt es Ihre wahren Gefühle aus?«
Er schüttelt den Kopf.
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