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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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ist bereit, nicht zu äußersten Maßnahmen zu greifen, sagt er, unter der Bedingung, daß du selbst eine Erklärung abgibst, die sowohl von unserem Standpunkt als auch von deinem befriedigend ist.«
      »Manas, das haben wir doch schon durch. Ich ... «
      »Warte. Laß mich ausreden. Ich habe den Entwurf für eine Erklärung vor mir, die unseren Ansprüchen genügen würde. Sie ist ziemlich kurz. Darf ich sie dir vorlesen?«
      »Lies sie vor.«
      Mathabane liest: »Ich erkenne ohne Vorbehalte an, daß die Menschenrechte der Klägerin ernsthaft verletzt wurden und daß ich die Autorität, die mir von der Universität übertragen wurde, mißbraucht habe. Ich entschuldige mich aufrichtig bei beiden Parteien und werde jede angemessene Strafe annehmen, die verhängt werden sollte.«
      »›Jede angemessene Strafe‹ – was heißt das?«
      »Wie ich es verstehe, wirst du nicht entlassen. Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man dich für einige Zeit beurlauben. Ob du dann wieder mit Lehraufgaben betraut werden wirst, wird von dir selbst abhängen, und von der Entscheidung deines Dekans und deines geschäftsführenden Direktors.«
      »Das ist alles? Das wäre das Ganze?«
      »So habe ich es verstanden. Wenn du zu verstehen gibst, daß du die Erklärung unterschreibst, die als Bitte um Strafmilderung eingestuft wird, dann ist der Rektor bereit, sie in diesem Geist anzunehmen.«
      »In welchem Geist?«
      »Einem Geist der Reue.«
      »Manas, wir haben das Thema Reue doch gestern schon behandelt. Ich habe euch gesagt, was ich davon halte. Das mache ich nicht. Ich bin vor einem amtlich eingesetzten Untersuchungsausschuß erschienen, vor einer juristischen Einrichtung. Vor diesem säkularen Tribunal habe ich mich schuldig bekannt, ein säkulares Geständnis abgelegt. Dieses Geständnis muß ausreichen. Reue ist weder Fisch noch Fleisch. Reue gehört zu einer anderen Gedankenwelt, zu einem anderen Universum.«
      »Du bringst Dinge durcheinander, David. Dir wird nicht der Befehl erteilt zu bereuen. Was in deinem Inneren vor sich geht, ist dunkel für uns als Mitglieder eines säkularen Tribunals, wie du es nennst, falls nicht als Mitmenschen.
      Man verlangt von dir, eine Erklärung abzugeben.«
      »Ich soll eine Entschuldigung liefern, die ich vielleicht nicht ernst meine?«
       
     
      »Das Kriterium ist nicht, ob du es ernst meinst. Das geht nur dein eigenes Gewissen etwas an, wie ich meine.
      Das Kriterium ist, ob du bereit bist, deinen Fehler öffentlich zuzugeben und Schritte zur Wiedergutmachung zu unternehmen.«
      »Jetzt betreiben wir wirklich Haarspalterei. Ihr habt mich angeklagt, und ich habe mich im Sinne der Anklage schuldig bekannt. Das ist alles, was ihr von mir braucht.«
      »Nein. Wir wollen mehr. Nicht viel mehr, aber mehr.
      Ich hoffe, daß du so weit gehen und uns das geben kannst.«
      »Tut mir leid, das kann ich nicht.«
      »David, ich kann dich nicht länger vor dir selbst beschützen. Ich habe es satt, und alle anderen Mitglieder des Ausschusses auch. Willst du Zeit zum Überlegen?«
      »Nein.«
      »Gut. Dann kann ich nur sagen, du wirst vom Rektor hören.«

  7. Kapitel
 
      Da er sich einmal zur Abreise entschlossen hat, gibt es wenig, was ihn aufhalten kann. Er räumt den Kühlschrank aus, schließt das Haus zu, und mittags ist er auf der Autobahn. Eine Übernachtung in Oudtshoorn, ein Aufbruch in aller Frühe – am Vormittag nähert er sich seinem Ziel, der Stadt Salem an der Grahamstown-Kenton-Straße in der Provinz Ost-Kap.
      Die kleine Farm seiner Tochter liegt am Ende einer kurvenreichen unbefestigten Straße, einige Meilen von der Stadt entfernt: fünf Hektar Land, das meiste davon zum Ackerbau geeignet, ein Windrad, Ställe und Nebengebäude und ein flaches, geräumiges Farmhaus, gelb getüncht, mit verzinktem Blechdach und einer überdachten Veranda. Die Grenze des Anwesens vorn bildet ein Drahtzaun, davor Kapuzinerkresse und Geranien; sonst gibt es dort nur Staub und Kies.
      Auf der Zufahrt parkt ein alter VW Kombi; er stellt seinen Wagen dahinter ab. Aus dem Schatten der Veranda tritt Lucy ins Sonnenlicht hinaus. Einen Augenblick lang erkennt er sie nicht wieder. Ein Jahr ist vergangen, und sie hat zugenommen. Ihre Hüften und ihre Brust sind jetzt (er sucht nach dem besten Wort) üppig. Barfuß, so kommt sie ihn begrüßen und breitet die Arme aus, umarmt ihn, küßt ihn auf die Wange.
      Was für eine nette junge Frau, denkt er, als er

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