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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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Unrecht der Vergangenheit sühnen, aber das ist dafür nicht der richtige Weg. Wenn du in dieser Situation nicht Rückgrat beweist, wirst du nie wieder den Kopf heben können. Ebensogut könntest du gleich deine Sachen packen und verschwinden. Und was die Polizei angeht, wenn du zu zartfühlend bist, um sie jetzt zu rufen, dann hätten wir sie überhaupt nicht damit befassen sollen. Wir hätten einfach stillhalten und auf den nächsten Überfall warten sollen. Oder uns die Kehle durchschneiden.«
      »Hör auf, David! Ich muß mich nicht vor dir rechtfertigen. Du weißt nicht, was geschehen ist.«
      »Ich weiß es nicht?«
      »Nein, du hast keinen Schimmer. Denk doch bitte mal in Ruhe darüber nach. Was die Polizei angeht, so darf ich dich daran erinnern, warum wir sie überhaupt gerufen haben: wegen der Versicherung. Wir haben eine Anzeige erstattet, weil sonst die Versicherung die Zahlung verweigern würde.«
      »Lucy, ich bin erstaunt. Es stimmt einfach nicht, das weißt du doch. Und noch einmal zu Petrus: wenn du an diesem Punkt einknickst, wenn du versagst, wirst du nicht mit dir leben können. Du hast eine Pflicht dir gegenüber, du bist das deiner Zukunft, deiner Selbstachtung schuldig.
      Laß mich die Polizei rufen. Oder rufe sie selbst.«
      »Nein.«
      Nein: das ist Lucys letztes Wort an ihn. Sie zieht sich in ihr Zimmer zurück, schließt die Tür vor seiner Nase, schließt ihn aus. So unerbittlich, als wären sie Mann und Frau, werden sie Schritt für Schritt auseinandergetrieben, und er kann nichts dagegen tun. Wenn sie streiten, ist das schon wie das Gezänk eines Ehepaars, das zusammengesperrt ist und nirgendwohin ausweichen kann. Wie muß sie den Tag verfluchen, an dem er gekommen ist, um bei ihr zu wohnen! Bestimmt wünscht sie sich, daß er verschwindet, je eher, desto besser.
      Doch auch sie wird letztendlich fortmüssen. Als Frau allein auf einer Farm hat sie keine Zukunft, das ist klar.
      Selbst die Tage von Ettinger, mit seinen Gewehren, dem Stacheldraht und den Alarmanlagen, sind gezählt. Wenn Lucy einen Funken von Vernunft hat, geht sie, ehe sie ein Schicksal ereilt, schlimmer als das, was man mit viktorianischer Prüderie als ›Schicksal, schlimmer als der Tod‹ bezeichnete. Aber natürlich wird sie nicht gehen. Sie ist eigensinnig und auch zu tief verbunden mit dem Leben, das sie gewählt hat.
      Er schlüpft aus dem Haus. Sich vorsichtig im Dunkeln bewegend, nähert er sich dem Stall von hinten.
      Das große Feuer ist niedergebrannt, die Musik schweigt.
       
     
      Eine Menschentraube ist an der hinteren Tür, einer Tür, weit genug, um einen Traktor durchzulassen. Er schaut über ihre Köpfe.
      In der Mitte des Raumes steht einer der Gäste, ein Mann mittleren Alters. Er hat einen geschorenen Kopf und einen Stiernacken; er trägt einen dunklen Anzug und um den Hals eine Goldkette, an der eine faustgroße Medaille hängt, eine von der Art, wie sie Häuptlinge verliehen bekamen als Symbol ihres Amtes. Symbole, die kistenweise in einer Gießerei in Coventry oder Birmingham geprägt wurden; auf der einen Seite mit dem Kopf der griesgrämigen Victoria, regina et imperatrix, versehen und auf der anderen mit heraldischen Gnus oder Ibissen.
      Medaillen für Häuptlinge per Katalog. Sie wurden ins ganze Empire versandt: nach Nagpur, den Fidschi-Inseln, der Goldküste, Kaffraria.
      Der Mann spricht, redet in geschliffenen Sätzen, deren Melodie steigt und fällt. Er hat keine Ahnung, was der Mann sagt, doch ab und zu kommt eine Pause und zustimmendes Gemurmel von seinen Zuhörern, unter denen, jung und alt, eine Stimmung der stillen Befriedigung zu herrschen scheint.
      Er schaut sich um. Der Junge steht in der Nähe, gleich hinter der Tür. Die Augen des Jungen huschen nervös über ihn hin. Auch andere Augen wenden sich ihm zu: dem Fremden, dem Außenseiter. Der Mann mit der Medaille runzelt die Stirn, stockt kurz, erhebt wieder die Stimme.
      Er seinerseits hat nichts gegen die Aufmerksamkeit.
      Sie sollen ruhig wissen, daß ich noch da bin, denkt er, sie sollen wissen, daß ich mich nicht im großen Haus verkrieche. Und wenn das ihre Zusammenkunft verdirbt, soll es so sein. Er hebt eine Hand zu seinem weißen Kopfverband hoch. Zum ersten Mal ist er froh, ihn zu haben, ihn rechtmäßig zu tragen.

  16. Kapitel
 
      Den ganzen nächsten Vormittag geht ihm Lucy aus dem Weg. Das Treffen mit Petrus, das sie versprochen hat, findet nicht statt. Dann, am

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