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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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schlagen, aber können wir sofort gehen?«
      »Halt mal.« Er reicht ihr den Teller, geht zur Hintertür hinaus.
      Draußen sind fast ebenso viele Gäste wie drinnen; um das Feuer geschart, reden, trinken und lachen sie. Von der anderen Seite des Feuers starrt ihn jemand an. Sofort wird alles klar. Er kennt das Gesicht, kennt es ganz genau. Er drängt sich durch Körper. Ich werde Krach schlagen, denkt er.
       
     
      Schade, ausgerechnet heute. Aber manches duldet keinen Aufschub.
      Er pflanzt sich vor dem Jungen auf. Es ist der dritte von ihnen, der Anlernling mit dem stumpfen Gesicht, der Mitläufer. »Dich kenne ich«, sagt er grimmig.
      Der Junge wirkt nicht erschrocken. Im Gegenteil, es scheint, als habe er auf diesen Moment gewartet, als hätte er sich darauf vorbereitet. Die Stimme, die aus seiner Kehle kommt, ist voller Wut. »Wer bist du?« sagt er, aber die Worte bedeuten etwas anderes: Mit welchem Recht bist du hier? Sein ganzer Körper signalisiert Gewaltbereitschaft.
      Dann ist Petrus bei ihnen und spricht schnell in Xhosa.
      Er legt Petrus die Hand auf den Ärmel. Petrus schüttelt sie ab und starrt ihn ungeduldig an. »Wissen Sie, wer das ist?« fragt er Petrus.
      »Nein, ich weiß nicht, was das ist«, sagt Petrus ungehalten. »Ich weiß nicht, was los ist. Was ist los?«
      »Er – dieser Ganove – war schon einmal hier, mit seinen Kumpanen. Er ist einer von ihnen. Aber lassen Sie ihn doch selbst erzählen, worum es geht. Lassen Sie ihn doch selbst erzählen, warum ihn die Polizei sucht.«
      »Das stimmt nicht!« schreit der Junge. Wieder spricht er mit Petrus, ein Strom zorniger Worte. Musik dringt weiter heraus in die Nachtluft, aber keiner tanzt mehr: Petrus’ Gäste drängen sich um sie, schieben, stoßen, machen Bemerkungen. Die Atmosphäre ist ungut.
      Petrus spricht. »Er sagt, er weiß nicht, wovon Sie reden.«
      »Er lügt. Er weiß es ganz genau. Lucy wird es bestätigen.«
      Aber natürlich wird Lucy nichts bestätigen. Wie kann er erwarten, daß Lucy vor diese Fremden tritt, den Jungen anblickt, mit dem Finger auf ihn zeigt und sagt: Ja, er ist einer von ihnen. Er war einer von denen, die die Tat getan haben?
      »Ich werde die Polizei anrufen«, sagt er.
      Von den Zuschauern kommt mißbilligendes Gemurmel.
      »Ich werde die Polizei anrufen«, sagt er noch einmal zu Petrus. Petrus zeigt eine steinerne Miene.
      In einer Wolke des Schweigens kehrt er ins Haus zurück, wo Lucy auf ihn wartet. »Gehen wir«, sagt er.
      Die Gäste machen ihnen Platz. Auf ihren Gesichtern ist keine Freundlichkeit mehr. Lucy hat die Taschenlampe vergessen, sie kommen im Dunkeln vom Weg ab; Lucy muß ihre Schuhe ausziehen; sie tappen durch Kartoffelbeete, bevor sie das Farmhaus erreichen.
      Er hat das Telefon in der Hand, als Lucy ihn stoppt.
      »David, nein, mach es nicht. Petrus kann nichts dafür.
      Wenn du die Polizei holst, ist der Abend für ihn verdorben. Sei vernünftig.«
      Er ist überrascht, überrascht genug, um seine Tochter anzufahren. »Um Himmels willen, wieso kann Petrus nichts dafür? So oder so hat er diese Männer doch erst einmal hergebracht. Und jetzt hat er die Frechheit, sie wieder einzuladen. Warum sollte ich vernünftig sein?
      Wirklich, Lucy, ich kann das überhaupt nicht verstehen.
      Ich kann nicht verstehen, warum du nicht die richtige Anklage gegen sie erhoben hast, und jetzt kann ich nicht verstehen, warum du Petrus schützt. Petrus ist nicht neutral, Petrus ist auf ihrer Seite.«
      »Schrei mich nicht an, David. Das ist mein Leben. Ich muß hier leben. Was mir zugestoßen ist, geht mich etwas an, nur mich, nicht dich, und wenn ich ein Recht habe, dann das, nicht so verhört zu werden, mich nicht verteidigen zu müssen – nicht dir gegenüber, keinem anderen gegenüber. Und was Petrus angeht, er ist kein Lohnarbeiter, ich kann ihn nicht feuern, wenn er meiner Meinung nach mit den falschen Leuten verkehrt. Das ist vorbei, vom Winde verweht. Wenn du Petrus zum Feind machen willst, dann schau lieber vorher den Tatsachen ins Gesicht.
      Du kannst die Polizei nicht rufen. Ich dulde es nicht. Warte bis morgen. Warte, bis du die Geschichte aus Petrus’
      Sicht gehört hast.«
      »Aber inzwischen wird der Junge verschwinden!«
      »Er wird nicht verschwinden. Petrus kennt ihn. Auf jeden Fall verschwindet keiner in der Provinz Ost-Kap.
      Das ist nicht der Ort dafür.«
      »Lucy, Lucy, ich beschwöre dich! Du möchtest das

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