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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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der Mann, mit dem meine Schwester nackt zusammengewesen ist! Das ist also der Mann, mit dem sie es getan hat! Dieser alte Mann!
      Es gibt ein separates kleines Eßzimmer mit einer Durchreiche zur Küche. Vier Plätze sind mit dem besten Besteck gedeckt; Kerzen brennen. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich!« sagt Isaacs. Von seiner Frau ist immer noch nichts zu sehen. »Entschuldigen Sie mich einen Moment.«
      Isaacs verschwindet in der Küche. Er bleibt mit Desiree ihm gegenüber am Tisch zurück. Sie läßt den Kopf hängen, nicht mehr so mutig.
      Dann kommen sie, die Eltern kommen gemeinsam herein. Er erhebt sich. »Sie haben meine Frau noch nicht kennengelernt. Doreen, unser Gast, Mr. Lurie.«
      »Haben Sie vielen Dank, daß Sie mich eingeladen haben, Mrs. Isaacs.«
      Mrs. Isaacs ist eine kleine Frau, in ihren mittleren Jahren rundlich geworden, mit krummen Beinen, die ihr einen leicht schaukelnden Gang verschaffen. Aber er sieht, woher die Schwestern ihr Aussehen haben. Zu ihrer Zeit muß sie eine richtige Schönheit gewesen sein.
      Ihr Gesichtsausdruck bleibt frostig, sie sieht ihn nicht an, aber sie nickt ganz leicht. Gehorsam; eine gute Frau und Gehilfin. Und sie werden sein ein Fleisch. Werden die Töchter nach ihr geraten?
      »Desiree«, befiehlt sie, »komm und trag mit auf.«
      Dankbar rutscht das Kind hastig vom Stuhl.
      »Mr. Isaacs, ich bringe nur Aufregung in Ihr Heim«, sagt er. »Es war freundlich von Ihnen, mich einzuladen, ich bin dankbar dafür, aber es ist besser, wenn ich gehe.«
      Zu seinem Erstaunen zeigt Isaacs ein Lächeln, in das sich eine gewisse Fröhlichkeit mischt. »Setzen Sie sich, setzen Sie sich! Wir kommen schon zurecht! Wir schaffen das!« Er lehnt sich herüber. »Sie müssen tapfer sein!«
      Dann sind Desiree und ihre Mutter wieder da und tragen die Gerichte auf: Hühnerfleisch in einem brodelnden Tomateneintopf, der nach Ingwer und Kreuzkümmel duftet, Reis und eine Reihe von Salaten und Pickles. Genau die Art Essen, die er bei Lucy am meisten vermißt hat.
      Die Flasche Wein wird vor ihn hingestellt und ein einzelnes Weinglas.
      »Bin ich der einzige, der Wein trinkt?« fragt er.
      »Bitte«, sagt Isaacs. »Bedienen Sie sich.«
      Er schenkt sich ein Glas ein. Süße Weine mag er nicht, aber er hat die Spätlese gekauft, weil er angenommen hat, das sei ihr Geschmack. Pech für ihn.
      Das Gebet muß noch durchgestanden werden. Die Isaacs fassen sich bei den Händen; es bleibt ihm nichts anderes übrig, als auch die Hände auszustrecken, links dem Vater des Mädchens entgegen, rechts der Mutter.
      »Alle guten Gaben, alles, was wir haben, kommt o Herr von Dir. Dank sei Dir dafür!« sagt Isaacs. »Amen« sagen seine Frau und Tochter; und er, David Lurie, murmelt ebenfalls »Amen« und läßt die beiden Hände fahren, die des Vaters kühl wie Seide, die der Mutter klein, fleischig, warm vom Arbeiten.
      Mrs. Isaacs teilt aus. »Vorsicht, es ist heiß«, sagt sie, als sie ihm den Teller reicht. Das sind ihre einzigen Worte an ihn.
      Während der Mahlzeit versucht er, ein guter Gast zu sein, sie zu unterhalten, die Gesprächspausen zu füllen. Er erzählt von Lucy, von der Hundepension, von ihrer Imkerei und ihren Gartenbau-Vorhaben, von seiner samstäglichen Aushilfe auf dem Markt. Er verharmlost den Überfall, erwähnt nur den Diebstahl seines Autos. Er erzählt vom Tierschutzbund, aber nicht von der Verbrennungsanlage auf dem Krankenhausgelände oder seinen heimlichen Nachmittagen mit Bev Shaw.
      So zusammengeflickt entfaltet sich die Geschichte ohne dunkle Schatten. Das Landleben in all seiner idiotischen Schlichtheit. Wie er sich wünscht, daß es wahr wäre! Er ist der dunklen Schatten müde, der Komplikationen, der komplizierten Menschen. Er liebt seine Tochter, aber es gibt Zeiten, wo er sich wünscht, daß sie ein einfacherer Mensch wäre – einfacher, eleganter. Ihr Vergewaltiger, der Anführer der Gang, war so. Wie eine Klinge, die den Wind zerteilt.
      Er hat eine Vision von sich, auf einem Operationstisch ausgestreckt liegend. Ein Skalpell blitzt; von der Kehle bis zur Leistengegend ist er geöffnet; er sieht alles, spürt aber keinen Schmerz. Ein Chirurg, bärtig, beugt sich über ihn, runzelt die Stirn. Was soll das ganze Zeug? brummt der Chirurg. Er piekst die Gallenblase an. Was ist das? Er schneidet sie heraus, wirft sie beiseite. Er piekst das Herz an. Was ist das?
      »Ihre Tochter – bewirtschaftet sie die Farm ganz

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