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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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nicht, er mag seine Fangfragen nicht.
      Er steht auf, tappt durch das leere Eßzimmer und den Korridor entlang. Hinter einer angelehnten Tür dringen leise Stimmen hervor. Er stößt die Tür auf. Auf dem Bett sitzen Desiree und ihre Mutter und sind mit einem Knäuel Wolle beschäftigt. Sie verstummen, überrascht von seinem Auftauchen.
      In einer zeremoniellen Handlung läßt er sich auf die Knie nieder und berührt mit der Stirn den Boden.
      Ist das genug? denkt er. Wird das ausreichen? Wenn nicht, was soll er noch machen?
      Er hebt den Kopf. Die beiden sitzen still da, erstarrt. Er blickt die Mutter an, dann die Tochter, und wieder durchzuckt es ihn, das Verlangen durchzuckt ihn.
      Er kommt auf die Füße, ein wenig mühsamer, als ihm lieb ist. »Gute Nacht«, sagt er. »Vielen Dank für die freundliche Aufnahme und Bewirtung.«
      Um elf klingelt auf seinem Hotelzimmer das Telefon.
       
     
      Es ist Isaacs. »Ich rufe Sie an, um Ihnen Kraft für die Zukunft zu wünschen.« Eine Pause. »Eine Frage konnte ich Ihnen bisher nicht stellen, Mr. Lurie. Sie hoffen nicht etwa darauf, daß wir uns für Sie verwenden, bei der Universität?«
      »Verwenden?«
      »Ja. Damit Sie wieder eingestellt werden, zum Beispiel.«
      »Der Gedanke ist mir nie gekommen. Mit der Universität habe ich abgeschlossen.«
      »Weil der Weg, auf dem Sie sich befinden, Ihnen von Gott bestimmt wurde. Wir dürfen uns nicht einmischen.«
      »Verstanden.«

  20. Kapitel
 
      Er kommt auf der N2 nach Kapstadt herein. Er ist nicht einmal drei Monate weg gewesen, doch während dieser Zeit sind die Elendsviertel über die Autostraße hinübergewachsen und haben sich östlich vom Flughafen ausgebreitet. Der Fahrzeugstrom kommt ins Stocken, während ein Kind mit einer Gerte eine verirrte Kuh von der Straße treibt. Unerbittlich kommt das Land in die Stadt, denkt er. Bald gibt es wieder Rinder im Park von Rondebosch; die Geschichte ist dann zum Ausgangspunkt zurückgekehrt.
      Da ist er nun wieder daheim. Ein Gefühl des Heimkommens stellt sich nicht ein. Er kann sich nicht vorstellen, daß er wieder im Haus auf der Torrance Road wohnt, im Schatten der Universität, daß er wie ein Verbrecher umherschleicht und langjährige Kollegen meidet. Er wird das Haus wohl verkaufen und in eine Wohnung ziehen müssen, wo es billiger ist.
      Seine Finanzsituation ist chaotisch. Seit seiner Abreise hat er keine Rechnung bezahlt. Er lebt auf Kredit; jeden Tag kann jetzt sein Kredit versiegen.
      Das Ende des Umherstreifens. Was kommt danach? Er sieht sich, weißhaarig, gebeugt, zum Laden an der Ecke schlurfen, um seinen halben Liter Milch und das halbe Brot zu kaufen; er sieht sich geistesabwesend an einem Schreibtisch in einem Zimmer mit vergilbendem Papier sitzen und darauf warten, daß der Nachmittag verstreicht, damit er sein Abendessen kochen und ins Bett gehen kann. Das Leben eines pensionierten Wissenschaftlers, ohne Hoffnung, ohne Zukunft: ist er bereit, sich damit abzufinden?
      Er schließt das Eingangstor auf. Der Garten ist zugewuchert, der Briefkasten vollgestopft mit Handzetteln, Reklame. Obwohl das Haus den heutigen sicherheitstechnischen Anforderungen genügt, hat es doch monatelang leer gestanden – die Hoffnung, daß es nicht heimgesucht wurde, ist unrealistisch. Und in der Tat, sobald er die Tür aufschließt und die Luft riecht, weiß er, daß etwas nicht stimmt. Sein Herz beginnt in schmerzhafter Erregung zu hämmern.
      Kein Laut. Wer hiergewesen ist, ist jetzt fort. Aber wie sind sie hereingelangt? Auf Zehenspitzen von Zimmer zu Zimmer gehend, stellt er es bald fest. Die Gitterstäbe vor einem der hinteren Fenster sind aus der Mauer gerissen und umgebogen worden, die Fensterscheiben eingeschlagen, so daß ein Loch entstanden ist, groß genug für ein Kind oder sogar einen kleinen Mann, um hindurchzuklettern. Eine Schicht aus Blättern und Sand, vom Wind hereingeweht, ist auf dem Boden festgebacken.
      Er wandert durchs Haus und registriert die Verluste.
      Sein Schlafzimmer ist geplündert worden, die Schubladen sind gähnend leer. Seine Stereoanlage ist fort, die Tonbänder und Schallplatten, seine Computerausrüstung. Im Arbeitszimmer hat man Schreibtisch und Aktenschrank aufgebrochen; überall sind Papiere verstreut. Die Küche ist gründlich ausgeräumt: Besteck, Geschirr, kleinere Geräte. Sein Alkoholvorrat ist verschwunden. Sogar der Schrank, in dem sich Nahrungsmittel in Büchsen befunden hatten, ist

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