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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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halb vom Stuhl, hält inne, betrachtet ihn erstaunt.
      »Erinnern Sie sich noch an mich? David Lurie, aus Kapstadt.«
      »Oh«, sagt Isaacs und setzt sich wieder. Er trägt denselben übergroßen Anzug; der Hals verschwindet im Jackett, aus dem er herausschaut wie ein scharfschnäbliger Vogel aus einem Sack. Die Fenster sind geschlossen, ein abgestandener Rauchgeruch hängt in der Luft.
      »Wenn Sie mich nicht sehen wollen, gehe ich sofort wieder«, sagt er.
      »Nein«, sagt Isaacs. »Setzen Sie sich. Ich kontrolliere nur die Anwesenheit der Schüler. Darf ich das zu Ende bringen?«
      »Bitte.«
      Auf dem Schreibtisch steht ein gerahmtes Bild. Von seinem Platz aus kann er es nicht sehen, aber er weiß, was darauf ist: Melanie und Desiree, seine Lieblinge, zusammen mit der Mutter, die sie geboren hat.
      »So«, sagt Isaacs und schließt das letzte Klassenbuch.
      »Was verschafft mir das Vergnügen?«
      Er hatte erwartet, daß er verkrampft sein würde, aber nun stellt er fest, daß er vollkommen ruhig ist.
      »Nachdem Melanie ihre Beschwerde eingereicht hatte«, sagt er, »führte die Universität eine amtliche Untersuchung durch, in deren Ergebnis ich von meinem Posten zurücktrat. So ist das verlaufen; das muß Ihnen bekannt sein.«
      Isaacs starrt ihn forschend an, äußert sich nicht.
      »Seitdem bin ich beschäftigungslos. Ich bin heute durch George gekommen, und da habe ich mir gedacht, ich könnte die Fahrt hier unterbrechen und mit Ihnen reden. Unser letztes Zusammentreffen ist mir als ... erregt in Erinnerung geblieben. Doch ich habe gedacht, ich schaue trotzdem vorbei und sage, was ich auf dem Herzen habe.«
      Soweit stimmt das. Er möchte sein Herz erleichtern.
      Fragt sich nur, was er auf dem Herzen hat.
      Isaacs hat einen billigen Kugelschreiber in der Hand.
      Er fährt mit den Fingern am Stift hinunter, dreht ihn um, fährt mit den Fingern am Stift hinunter, wieder und wieder, mit einer Bewegung, die eher mechanisch als ungeduldig ist.
      Er fährt fort. »Sie haben Melanies Version der Geschichte gehört. Ich würde Ihnen gern meine Version geben, wenn Sie bereit sind, sie anzuhören.
      Es begann ohne Vorsatz meinerseits. Es begann als Abenteuer, eins von den spontanen kleinen Abenteuern, die gewisse Männer haben, die ich habe, die mich in Form halten. Entschuldigen Sie, wenn ich mich so ausdrücke. Ich versuche, ehrlich zu sein.
      In Melanies Fall geschah aber etwas Unerwartetes. Ich stelle es mir als Feuer vor. Sie hat in mir ein Feuer entfacht.«
      Er macht eine Pause. Der Stift tanzt weiter. Ein spontanes kleines Abenteuer. Gewisse Männer. Ob der Mann hinter dem Schreibtisch Abenteuer hat? Je öfter er ihn sieht, desto mehr bezweifelt er es. Es würde ihn nicht wundern, wenn Isaacs irgendein Kirchenamt innehätte, als Diakon oder Meßdiener, was das auch sein mag.
      »Ein Feuer: was ist daran bemerkenswert? Wenn ein Feuer verlischt, zündet man ein Streichholz an und entfacht ein neues. So habe ich früher gedacht. Aber in alten Zeiten verehrten die Menschen das Feuer. Sie überlegten es sich gut, ehe sie eine Flamme verlöschen ließen, einen Flammengott. Diese Art Flamme hat Ihre Tochter in mir entzündet. Nicht heiß genug, um mich zu verzehren, aber echt – echtes Feuer.«
      Gebrannt – verbrannt – ausgebrannt.
      Der Stift bewegt sich nicht mehr. »Mr. Lurie«, sagt der Vater des Mädchens, und auf seinem Gesicht ist ein verzerrtes, qualvolles Lächeln, »ich frage mich, was Sie um Gottes willen bezwecken, wenn Sie in meine Schule kommen und mir Geschichten erzählen –«
      »Entschuldigen Sie, es ist ungeheuerlich, ich weiß. Das ist alles. Mehr wollte ich nicht sagen, zu meiner Verteidigung. Wie geht es Melanie?«
      »Melanie geht es gut, wenn Sie schon nach ihr fragen.
      Sie ruft jede Woche an. Sie hat ihr Studium wiederaufgenommen, man hat eine Sonderregelung für sie gefunden, sicher können Sie das verstehen, unter den Umständen. In ihrer Freizeit macht sie weiter bei der Theatertruppe mit, erfolgreich. Melanie geht es also gut. Und wie steht’s mit Ihnen? Was sind Ihre Pläne, da Sie nun aus dem Lehramt ausgeschieden sind?«
      »Auch ich habe eine Tochter, das wird Sie interessieren.
      Sie hat eine Farm; voraussichtlich werde ich eine gewisse Zeit bei ihr sein und aushelfen. Ich habe auch ein Buch fertigzustellen, so etwas wie ein Buch. So oder so werde ich mich beschäftigen.«
      Er hält inne. Isaacs betrachtet ihn mit

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