Schande
allein?« fragt Isaacs.
»Sie hat einen Mann, der manchmal hilft. Petrus. Ein Afrikaner.« Und er erzählt von Petrus, dem soliden, verläßlichen Petrus mit seinen beiden Frauen und seinen moderaten Plänen.
Er hat weniger Hunger, als er zu haben glaubte. Die Unterhaltung versickert, aber irgendwie bringen sie die Mahlzeit hinter sich. Desiree entschuldigt sich, verschwindet, um ihre Hausaufgaben zu erledigen. Mrs. Isaacs räumt den Tisch ab.
»Ich sollte jetzt gehen«, sagt er. »Morgen muß ich früh aufbrechen.«
»Warten Sie, bleiben Sie noch einen Augenblick«, sagt Isaacs.
Sie sind allein. Er kann nicht mehr ausweichen.
»Zu Melanie«, sagt er.
»Ja?«
»Gestatten Sie mir noch ein Wort, dann habe ich alles gesagt. Es hätte anders kommen können, glaube ich, zwischen uns beiden, trotz des Altersunterschieds. Aber ich konnte ihr irgend etwas nicht geben, etwas« – er sucht nach dem Wort – »Poetisches. Ich habe zu wenig Poesie.
Ich bin zu versiert in der Liebe. Selbst wenn ich brenne, singe ich nicht, wenn Sie verstehen, was ich sagen will.
Das tut mir leid. Es tut mir leid, daß ich Ihrer Tochter so viel zugemutet habe. Sie haben eine wunderbare Familie.
Ich entschuldige mich für den Kummer, den ich Ihnen und Mrs. Isaacs verursacht habe. Ich bitte Sie um Verzeihung.«
Wunderbare Familie ist nicht der richtige Ausdruck. Besser wäre Vorzeigefamilie.
»So«, sagt Isaacs, »nun haben Sie sich doch noch entschuldigt. Ich habe mich schon gefragt, wann das geschehen würde.« Er denkt nach. Er hat sich nicht wieder gesetzt; jetzt fängt er an, auf und ab zu gehen. »Es tut Ihnen leid. Sie haben zu wenig Poesie, sagen Sie. Wenn Sie mehr Poesie gehabt hätten, dann wären wir heute nicht da, wo wir sind. Aber ich sage mir, es tut uns allen leid, wenn man uns auf die Schliche kommt. Dann tut es uns sehr leid. Es geht nicht darum, ob es uns leid tut. Es geht darum, was wir daraus gelernt haben. Es geht darum, was wir jetzt anfangen, wo es uns leid tut.«
Er will etwas sagen, aber Isaacs hebt eine Hand. »Darf ich das Wort Gott vor Ihren Ohren aussprechen? Sie gehören doch nicht zu den Leuten, die sich aufregen, wenn sie Gottes Namen hören? Es geht darum, was Gott von Ihnen will, außer daß es Ihnen sehr leid tut. Haben Sie eine Ahnung, Mr. Lurie?«
Obwohl ihn Isaacs sprunghafte Art irritiert, versucht er, seine Worte mit Bedacht zu wählen. »Normalerweise würde ich antworten«, sagt er, »daß man ab einem gewissen Alter nichts mehr hinzulernen kann. Man kann nur immer wieder bestraft werden. Aber vielleicht stimmt das nicht, jedenfalls nicht immer. Ich warte es ab. Und was Gott angeht, ich bin kein gläubiger Mensch, deshalb muß ich mir, was Sie Gott und Gottes Willen nennen, in meine Sprache übersetzen. In meiner Sprache heißt das, ich werde bestraft für das, was zwischen mir und Ihrer Tochter vorgefallen ist. Ich stecke tief in Schande, und es wird nicht leicht sein, mich davon zu befreien. Die Strafe habe ich auf mich genommen. Ich murre nicht. Im Gegenteil, ich lebe tagtäglich damit und versuche, das Leben mit der Schande als meine Daseinsform zu akzeptieren. Reicht das für Gott, was meinen Sie, daß ich bis ans Ende meiner Tage in Schande lebe?«
»Ich weiß nicht, Mr. Lurie. Normalerweise würde ich sagen, fragen Sie nicht mich, fragen Sie Gott. Aber da Sie nicht beten, haben Sie keine Möglichkeit, Gott zu fragen.
Gott muß also seinen eigenen Weg finden, es Ihnen zu sagen. Warum, glauben Sie, sind Sie hier, Mr. Lurie?«
Er schweigt.
»Ich will es Ihnen sagen. Sie sind durch George gekommen, und da ist Ihnen eingefallen, daß die Familie Ihrer Studentin aus George stammt, und Sie haben sich gesagt: Warum nicht? Sie haben es nicht vorgehabt, aber nun sind Sie plötzlich bei uns zu Hause. Das muß Sie überraschen. Habe ich recht?«
»Nicht ganz. Ich habe nicht die Wahrheit gesagt. Es war kein Zufall – ich bin aus einem einzigen Grund nach George gekommen: um mit Ihnen zu reden. Ich habe schon länger daran gedacht.«
»Ja, Sie sind gekommen, um mit mir zu reden, sagen Sie, aber warum mit mir? Es ist leicht, mit mir zu reden, zu leicht. Alle Kinder in meiner Schule wissen das. Bei Isaacs kommt man leicht davon – das sagen sie.« Er lächelt wieder, dasselbe schiefe Lächeln wie schon einmal. »Mit wem wollten Sie also wirklich reden?«
Jetzt ist er sich sicher – er mag diesen Mann
Weitere Kostenlose Bücher