Schande
dem verunstalteten Ohr. Er ist sich sicher, ihr würde schaudern, wenn sie es berühren müßte. Sie ist nicht der fürsorgliche Typ. Die besten Erinnerungen hat er noch an ihre ersten gemeinsamen Monate: dampfende Sommernächte in Durban, die Laken feucht geschwitzt, Rosalinds langer, blasser Körper, der sich hin und her wirft und sich vor Lust windet, einer Lust, die von Schmerz schwer zu unterscheiden ist. Zwei sinnliche Menschen – das hat sie zusammengehalten, solange es währte.
Sie sprechen von Lucy, von der Farm. »Ich hatte angenommen, daß sie mit einer Freundin zusammenwohnt«, sagt Rosalind. »Grace.«
»Helen. Helen ist wieder in Johannesburg. Ich vermute, sie haben sich endgültig getrennt.«
»Ist Lucy so allein an diesem einsamen Ort sicher?«
»Nein, sie ist nicht sicher, sie wäre verrückt, wenn sie sich sicher fühlte. Aber sie wird trotzdem dortbleiben. Es ist für sie eine Sache der Ehre geworden.«
»Du hast gesagt, man hat dir das Auto gestohlen.«
»Ich bin selbst daran schuld. Ich hätte vorsichtiger sein sollen.«
»Ich vergaß zu erwähnen: Ich habe die Geschichte von deiner Verhandlung gehört. Die Insider-Geschichte.«
»Von meiner Verhandlung?«
»Von deiner Untersuchung, deiner Befragung, wie du’s nennen willst. Ich habe gehört, daß du dich nicht klug verhalten hast.«
»Oh? Wie hast du das erfahren? Ich dachte, es sei vertraulich.«
»Das spielt keine Rolle. Ich habe gehört, daß du keinen guten Eindruck gemacht hast. Du bist zu stur und abweisend gewesen.«
»Ich habe nicht versucht, Eindruck zu schinden. Ich bin für ein Prinzip eingetreten.«
»Das kann ja sein, David, aber du weißt inzwischen doch auch, daß es bei Verhandlungen nicht um Prinzipien geht, es geht darum, wie gut du rüberkommst. Nach meiner Informationsquelle bist du schlecht rübergekommen.
Für welches Prinzip bist du denn eingetreten?«
»Für Redefreiheit. Für die Freiheit, schweigen zu dürfen.«
»Das klingt großartig. Aber du warst immer groß darin, dir etwas vorzumachen, David. Anderen etwas vorzumachen und dir etwas vorzumachen. Bist du sicher, daß es nicht einfach darum ging, daß du mit heruntergelassenen Hosen ertappt wurdest?«
Er beißt nicht an.
»Egal, wie das Prinzip auch lautete, es war jedenfalls zu abstrus für deine Zuhörer. Sie waren der Meinung, daß du nur eine Vernebelungstaktik anwendest. Du hättest dich vorher beraten lassen sollen. Was wirst du nun in Geldangelegenheiten unternehmen? Haben sie dir die Pension gestrichen?«
»Ich bekomme zurück, was ich eingezahlt habe. Ich werde das Haus verkaufen. Es ist zu groß für mich.«
»Was wirst du mit deiner Zeit anfangen? Wirst du dich nach Arbeit umsehen?«
»Ich glaube kaum. Ich habe zu tun. Ich schreibe etwas.«
»Ein Buch?«
»Eigentlich eine Oper.«
»Eine Oper! Na, das ist eine neue Strecke. Hoffentlich bringt sie dir viel Geld ein. Wirst du zu Lucy ziehen?«
»Die Oper ist bloß ein Hobby, eine Sache, an der ich mich versuchen kann. Sie wird nichts einbringen. Und nein, ich werde nicht zu Lucy ziehen. Das wäre keine gute Idee.«
»Warum nicht? Ihr seid doch immer gut miteinander ausgekommen. Ist etwas passiert?«
Ihre Fragen sind aufdringlich, aber Rosalind hat sich nie gescheut, aufdringlich zu sein. »Du hast zehn Jahre lang das Bett mit mir geteilt«, hat sie einmal gesagt – »warum solltest du Geheimnisse vor mir haben?«
»Ich komme immer noch gut mit Lucy aus«, erwidert er. »Aber nicht gut genug, um zusammenzuleben.«
»Die Geschichte deines Lebens.«
»Ja.«
Sie schweigen, während beide, von ihren verschiedenen Blickwinkeln aus, über die Geschichte seines Lebens nachdenken.
»Ich habe deine Freundin gesehen«, sagt Rosalind, das Thema wechselnd.
»Meine Freundin?«
»Deine Angebetete. Melanie Isaacs – heißt sie nicht so?
Sie spielt in einem Stück beim Dock Theatre mit. Wußtest du das nicht? Ich verstehe, was du an ihr findest. Große, dunkle Augen. Ein schlauer kleiner Wieselkörper.
Genau dein Typ. Du hast wahrscheinlich gedacht, es würde wieder mal eine deiner schnellen Affären, deiner kleinen Fehltritte. Und schau dich jetzt mal an. Du hast dein Leben weggeworfen, und wofür?«
»Mein Leben ist nicht weggeworfen, Rosalind. Rede keinen Unsinn.«
»Aber es ist so! Du hast deine Arbeit verloren, dein Name ist beschmutzt, deine
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