Schande
eine Stimme, zitternd und körperlos, die Stimme eines Geistes, Byrons Stimme. Wo bist du? singt er; und dann ein Wort, das sie nicht hören will: secca, trocken. Sie ist versiegt, die Quelle allen Lebens.
So schwach, so stockend ist Byrons Stimme, daß Teresa seine Worte singend wiederholen muß, ihm immer wieder mit ihrem Atem aushelfen muß, ihn ins Leben zurückziehend: ihr Kind, ihr Junge. Ich bin hier, singt sie, stützt ihn, rettet ihn vorm Untergang. Ich bin deine Quelle.
Weißt du noch, wie wir zusammen die Quelle von Arquà besucht haben? Zusammen, du und ich. Ich war deine Laura.
Weißt du noch?
So muß es von hier an sein: Teresa leiht ihrem Geliebten die Stimme, und er, der Mann in dem geplünderten Haus, leiht Teresa die Stimme. Der Hinkende hilft dem Lahmen, weil es nicht anders geht.
Er arbeitet so schnell er kann, klammert sich an Teresa und versucht, die ersten Seiten des Librettos zu skizzieren.
Wirf die Worte aufs Papier, sagt er sich. Wenn das erst einmal geschafft ist, wird alles leichter. Dann ist Zeit, die Meister zu durchforschen – Gluck zum Beispiel – und sich Melodien anzueignen, und vielleicht – wer weiß? – auch Ideen.
Aber allmählich, als er seine Tage immer mehr Teresa und dem toten Byron widmet, wird klar, daß gestohlene Lieder nicht gut genug sein werden, daß die beiden eine eigene Musik verlangen. Und zu seinem Erstaunen kommt die Musik tröpfchenweise. Manchmal zeigt sich ihm die Kontur einer Phrase, ehe er noch eine Ahnung hat, was die Worte selbst sein werden; manchmal ziehen die Worte die Kadenz nach sich; manchmal entwickelt sich der Schatten einer Melodie, die ihn seit Tagen umschwebte und fast zu hören war, und offenbart sich beglückend. Als die Handlung sich dann entwickelt, ruft sie von selbst Modulationen der Akkorde und Übergänge hervor, die er in seinem Blut spürt, auch wenn er nicht die musikalischen Mittel hat, sie umzusetzen.
Er macht sich ans Werk, den Anfang einer Partitur am Klavier zusammenzufügen und aufzuschreiben. Aber am Klang des Klaviers ist etwas, das ihn behindert: zu gerundet, zu körperlich, zu voll. Vom Boden holt er aus einer Kiste mit Spielzeug und alten Büchern, die Lucy gehört haben, das komische kleine Banjo mit seinen sieben Saiten, das er für sie auf den Straßen von KwaMashu gekauft hat, als sie noch ein Kind war. Mit Unterstützung des Banjos fängt er an, die Musik zu notieren, die Teresa, einmal klagend, dann wieder zornig, ihrem toten Geliebten singen wird und die jener Byron mit der farblosen Stimme vom Land der Schatten her als Antwort singen wird.
Je tiefer er der Contessa in ihre Unterwelt hinein folgt, ihre Worte für sie singend oder ihre Partie summend, desto untrennbarer von ihr wird zu seinem Erstaunen das einfältige Plinkplonk des Spielzeugbanjos. Von den üppigen Arien, die er ihr zu geben gedachte, trennt er sich stillschweigend; von da ist es nur ein kurzer Schritt bis zur Entscheidung, ihr das Instrument in die Hand zu geben.
Statt daß sie über die Bühne stolziert, sitzt Teresa nun und starrt über die Sümpfe zu den Pforten der Hölle, die Mandoline im Arm, auf der sie ihre lyrischen Ergüsse begleitet; während auf einer Seite ein diskretes Trio in Kniehosen (Cello, Querflöte, Fagott) die Zwischenakte füllt oder sparsame Kommentare zwischen den Strophen liefert.
An seinem Schreibtisch sitzend und in den verwilderten Garten hinausschauend, staunt er, was das kleine Banjo ihn lehrt. Vor sechs Monaten hatte er geglaubt, sein eigener geisterhafter Platz in Byron in Italien wäre irgendwo zwischen Teresa und Byron – zwischen der Sehnsucht, den Sommer des leidenschaftlichen Körpers zu verlängern, und dem widerstrebenden Echo darauf aus dem langen Schlaf des Vergessens. Aber er hatte sich geirrt. Nicht das Erotische ruft nach ihm, auch nicht das Elegische, sondern das Komische. Er ist in der Oper weder als Teresa noch als Byron, auch nicht als Mischung aus den beiden: er ist in der Musik selbst enthalten, in dem flachen, blechernen Schlag der Banjosaiten, in der Stimme, die sich bemüht, dem lächerlichen Instrument zu entfliehen, aber stets wieder zurückgerissen wird, wie ein Fisch an der Angel.
Das ist also Kunst, denkt er, und so funktioniert sie!
Wie seltsam! Wie faszinierend!
Er verbringt ganze Tage im Bann von Byron und Teresa, lebt von schwarzem Kaffee und Haferflocken. Der Kühlschrank ist leer, sein Bett ungemacht; Blätter
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