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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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Entschuldigung«), an bösen Blicken, ärgerlichem Gemurmel, bevor er den Gang erreicht, den Ausgang findet und in die windige, mondlose Nacht hinaustritt.
      Ein Geräusch hinter ihm. Er dreht sich um. Eine Zigarettenspitze glüht – Ryan ist ihm auf den Parkplatz gefolgt.
      »Wollen Sie mir das erklären?« fährt er ihn an. »Wollen Sie Ihr kindisches Benehmen erklären?«
      Ryan zieht an seiner Zigarette. »Ich tue Ihnen bloß einen Gefallen, Prof. Haben Sie Ihre Lektion nicht gelernt?«
      »Was war meine Lektion?«
      »Halten Sie sich an Ihresgleichen.«
      Ihresgleichen – wer ist dieser junge Mann, daß er ihm sagt, wer seinesgleichen ist? Was weiß er von der Macht, die völlig Fremde einander in die Arme treibt und sie zu Verwandten, zu ihresgleichen macht, jenseits aller Besonnenheit? Omnis gens quaecumque se in se perficere vult. Der Samen der Generationen, ausgestattet mit dem Trieb zur eigenen Vervollkommnung, tief in den Körper der Frau eindringend, angetrieben, die Zukunft zu erzeugen.  Trieb, getrieben.
      Ryan spricht. »Laß Sie in Ruhe, Mann! Melanie wird Ihnen ins Gesicht spucken, wenn sie Sie sieht.« Er läßt seine Zigarette fallen und macht einen Schritt auf ihn zu.
       »Suchen Sie sich ein anderes Leben, Prof. Glauben Sie mir.«
       
     
      Auf der Rückfahrt fährt er langsam die Hauptstraße in Green Point entlang. Ins Gesicht spucken – das hatte er nicht erwartet. Seine Hand auf dem Lenkrad zittert. Die Schläge des Daseins – er muß lernen, sie nicht so schwer zu nehmen.
      Die Nutten sind zahlreich vertreten; an einer Ampel zieht eine von ihnen seinen Blick auf sich, ein großes Mädchen in einem winzigen schwarzen Lederrock.
      Warum nicht, denkt er, in dieser Nacht der Offenbarungen?
      Sie parken in einer Sackgasse an den Hängen des Signal Hill. Das Mädchen ist betrunken oder steht vielleicht unter Drogen – er kann nichts Zusammenhängendes aus ihr herausbekommen. Trotzdem verrichtet sie ihren Dienst an ihm so gut, wie er erwarten durfte. Danach liegt sie mit ihrem Gesicht in seinem Schoß und ruht sich aus.
      Sie ist jünger, als sie unter den Straßenlaternen gewirkt hat, jünger noch als Melanie. Er legt eine Hand auf ihren Kopf. Das Zittern hat aufgehört. Er fühlt sich schläfrig, zufrieden; und auf seltsame Weise fürsorglich.
      Mehr braucht es also nicht! denkt er. Wie konnte ich das nur vergessen?
      Kein schlechter Mann, aber auch kein guter. Nicht kalt und nicht heiß, sogar in seinen hitzigsten Momenten.
      Nicht nach dem Maß Teresas; nicht einmal nach dem Maß Byrons. Zu wenig Feuer. Wird so das Urteil über ihn lauten, das Urteil des Universums und seines alles sehenden Auges?
      Das Mädchen regt sich, setzt sich auf. »Wo bringst du mich hin?« nuschelt sie.
      »Ich bringe dich wieder dahin, wo ich dich gefunden habe.«

  22. Kapitel
 
      Er hält telefonisch Verbindung mit Lucy. In ihren Gesprächen gibt sie sich große Mühe, ihm zu versichern, daß auf der Farm alles gut steht, und er, den Eindruck zu vermitteln, daß er ihr glaubt. Sie arbeite tüchtig in den Blumenbeeten, sagt sie ihm, wo die Frühlingsblumen jetzt blühen. Die Hundepension belebt sich wieder. Sie hat zwei Hunde aufgenommen und hofft auf mehr. Petrus hat viel Arbeit mit seinem Haus, aber nicht so viel, daß er nicht aushelfen könnte. Die Shaws kommen sie oft besuchen.
      Nein, Geld braucht sie nicht.
      Aber irgend etwas an Lucys Ton beunruhigt ihn. Er ruft Bev Shaw an. »Du bist die einzige, die ich fragen kann«, sagt er. »Wie geht es Lucy wirklich?«
      Bev Shaw ist vorsichtig. »Was hat sie dir erzählt?«
      »Sie erzählt mir, daß alles gutgeht. Aber sie hört sich an wie ein Zombie. Es klingt, als würde sie Beruhigungsmittel nehmen. Ist das so?«
      Bev Shaw weicht der Frage aus. Immerhin sagt sie – und scheint ihre Worte gut zu überlegen –, daß es »Entwicklungen« gegeben hat.
      »Was für Entwicklungen?«
      »Das kann ich dir nicht sagen, David. Verlange das nicht von mir. Lucy muß es dir selber sagen.«
      Er ruft Lucy an. »Ich muß nach Durban fahren«, lügt er. »Ich habe da vielleicht eine Stelle in Aussicht. Kann ich einen Tag oder zwei Station bei dir machen?«
       
     
      »Hat Bev mit dir gesprochen?«
      »Bev hat damit nichts zu tun. Kann ich kommen?«
      Er fliegt nach Port Elizabeth und mietet ein Auto.
      Zwei Stunden später biegt er von der Landstraße auf den unbefestigten Weg, der zur Farm führt,

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