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Schande

Schande

Titel: Schande Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: J. M. Coetzee
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und ab stolzierenden Pfauen, besitzt die richtige Mischung von Zeitlosigkeit und Verfall.
      Aber schon auf Lucys Farm und nun auch hier konnte das Vorhaben ihn nicht im Innersten fesseln. Irgend etwas daran ist schlecht konzipiert, es kommt nicht aus dem Herzen. Eine Frau, die den Sternen klagt, daß die spionierenden Diener sie und ihren Liebhaber dazu zwingen, ihr Verlangen in der Besenkammer zu stillen – wen interessiert das schon? Für Byron vermag er Worte zu finden, aber die Teresa, die ihm die Geschichte überliefert hat – jung, gierig, eigensinnig, launisch –, paßt nicht zu der von ihm erträumten Musik, einer Musik, deren Klänge, üppigherbstlich, doch mit Ironie versetzt, er dunkel mit seinem inneren Ohr hört.
      Er versucht eine andere Richtung. Er gibt die von ihm geschriebenen Notenseiten auf, er gibt die kecke, frühreife Neuvermählte mit ihrem eroberten englischen Milord auf, er versucht, Teresa in mittleren Jahren einzufangen.
      Die neue Teresa ist eine rundliche kleine Witwe, die mit ihrem alten Vater in der Villa Gamba untergebracht ist. Sie fuhrt den Haushalt, hält das Geld zusammen, achtet darauf, daß die Diener keinen Zucker stehlen. In der neuen Fassung ist Byron schon lange tot; Teresas einziger Anspruch auf Unsterblichkeit und der Trost ihrer einsamen Nächte ist die Kiste mit Briefen und Andenken, die sie unter ihrem Bett aufbewahrt, was sie ihre reliquie nennt, die Teresas Großnichten nach deren Tod öffnen und ehrfürchtig betrachten sollen.
      Ist das die Heroine, die er immer gesucht hat? Wird eine ältere Teresa sein Herz in seinem jetzigen Zustand bewegen?
      Die Zeit ist nicht freundlich mit Teresa umgegangen.
      Mit ihrem großen Busen, dem untersetzten Körper und den kurzen Beinen gleicht sie eher einer Bäuerin, einer contadina, als einer Aristokratin. Der Teint, den Byron einst so bewunderte, zeigt hektische Flecken; im Sommer suchen sie Asthmaanfälle heim, bei denen sie nach Luft ringt.
      In den Briefen, die er ihr geschrieben hat, nennt Byron sie Meine Freundin, dann Meine Geliebte, dann Meine ewig Geliebte. Aber es existieren rivalisierende Briefe, Briefe, die sie nicht an sich bringen und verbrennen kann. In diesen Briefen, an seine englischen Freunde gerichtet, zählt Byron sie leichtfertig zu seinen italienischen Eroberungen, macht Scherze über ihren Mann, spielt auf Frauen aus ihrem Kreis an, mit denen er geschlafen hat. In den Jahren nach Byrons Tod haben seine Freunde eine Biographie nach der anderen über ihn geschrieben und sich dabei auf seine Briefe gestützt. Nachdem Byron die junge Teresa ihrem Mann abspenstig gemacht hat, so geht ihre Geschichte, wurde er ihrer bald überdrüssig; er fand sie hohl; er blieb nur aus Verantwortungsbewußtsein bei ihr; um ihr zu entkommen, fuhr er mit dem Schiff nach Griechenland und in seinen Tod.
      Diese Verleumdungen verletzen sie zutiefst. Ihre Jahre mit Byron sind der Höhepunkt ihres Lebens. Nur Byrons Liebe erhebt sie über andere. Ohne ihn ist sie nichts: eine Frau über die Blüte ihrer Jahre hinaus, die nichts weiter zu hoffen hat, die ihre Tage in einem langweiligen Provinznest verbringt, den Freundinnen Besuche abstattet und die ihren empfängt, dem Vater die Beine massiert, wenn sie schmerzen, die allein schläft.
      Kann er sein Herz überreden, diese einfache, durchschnittliche Frau zu lieben? Kann er sie genug lieben, um für sie Musik zu schreiben? Wenn er es nicht kann, was bleibt ihm dann noch?
      Er kommt auf die Szene zurück, die jetzt die Eingangsszene sein muß. Das Ende eines weiteren schwülen Tages.
      Teresa steht im Haus ihres Vaters am Fenster im zweiten Stock und schaut über die Sümpfe und das Piniengebüsch der Romagna zur Sonne, die auf der Adria glitzert. Das Ende des Vorspiels; kurze Stille; sie holt tief Luft. Mio Byron, singt sie, ihre Stimme vibriert vor Traurigkeit. Eine einsame Klarinette antwortet, erstirbt, schweigt. Mio Byron, ruft sie wieder, lauter.
      Wo ist er, ihr Byron? Byron ist verloren, das ist die Antwort. Byron wandelt unter den Schatten. Und auch sie ist verloren, die Teresa, die er geliebt hat, das neunzehnjährige Mädchen mit den blonden Locken, die sich so freudig dem gebieterischen Engländer hingab und ihm hinterher, als er auf ihrer nackten Brust lag, tief atmend, nach seiner großen Leidenschaft schlummernd, die Stirn streichelte.
      Mio Byron, singt sie zum dritten Mal; und von irgendwoher, aus den Höhlen der Unterwelt, antwortet ihr

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