Schande
Lucys Farm, Lucys Fleck Erde.
Ist es auch seine Erde? Er hat nicht das Gefühl, daß es seine Erde ist. Trotz der Zeit, die er hier verbracht hat, hat er das Gefühl, als sei es fremdes Land.
Es gibt Veränderungen. Ein Drahtzaun, nicht besonders fachmännisch errichtet, markiert jetzt die Grenze zwischen Lucys und Petrus’ Grundstücken. Auf Petrus’
Seite grast ein Paar magerer Färsen. Petrus’ Haus ist zur Realität geworden. Grau und trist steht es auf einer Anhöhe östlich vom alten Farmhaus; morgens muß es einen langen Schatten werfen, nimmt er an.
Lucy, in einem unförmigen Kittel, der auch ein Nachthemd sein könnte, öffnet die Tür. Die Aura von Gesundheit und Frische, die sonst um sie war, ist fort. Ihr Teint ist teigig, sie hat sich die Haare nicht gewaschen. Ohne Wärme erwidert sie seine Umarmung. »Komm rein«, sagt sie.
»Ich mache gerade Tee.«
Sie sitzen zusammen am Küchentisch. Sie gießt Tee aus, reicht ihm ein Päckchen Ingwerplätzchen. »Erzähl mir von dem Angebot in Durban«, sagt sie.
»Das kann warten. Lucy, ich bin gekommen, weil ich mir Sorgen um dich mache. Geht es dir gut?«
»Ich bin schwanger.«
»Was bist du?«
»Ich bin schwanger.«
»Von wem? Von dem bewußten Tag?«
»Von dem bewußten Tag.«
»Das verstehe ich nicht. Ich dachte, du hast vorgesorgt, du und deine Ärztin.«
»Nein.«
»Was soll das heißen, nein? Soll das heißen, du hast nicht vorgesorgt?«
»Ich habe vorgesorgt. Ich habe jede vernünftige Maßnahme ergriffen, außer der, auf die du anspielst. Aber ich lasse keine Abtreibung machen. Ich bin nicht bereit, das noch einmal durchzumachen.«
»Ich wußte nicht, daß du so empfindest. Du hast mir nie erzählt, daß du nicht an Abtreibung glaubst. Warum muß Abtreibung überhaupt ein Thema sein? Ich habe angenommen, daß du Ovral nimmst.«
»Das hat nichts mit Glauben zu tun. Und ich habe nie gesagt, daß ich Ovral nehme.«
»Du hättest es mir eher sagen können. Warum hast du es mir verschwiegen?«
»Weil ich noch einen deiner Ausbrüche nicht ertragen konnte, David. Ich kann mein Leben nicht danach richten, ob du gutheißt, was ich tue, oder nicht. Nicht mehr.
Du verhältst dich so, als wäre alles, was ich tue, Teil deiner Lebensgeschichte. Du bist die Hauptperson, ich bin eine Nebenfigur, die erst auftritt, wenn die Hälfte schon vorbei ist. Doch es ist nicht so, wie du glaubst, die Menschen sind nicht in wichtige und weniger wichtige eingeteilt. Ich bin nicht weniger wichtig. Ich habe ein eigenes Leben, das für mich genauso wichtig ist wie deins für dich, und in meinem Leben treffe ich die Entscheidungen.«
Ein Ausbruch? Ist das nicht ein vollwertiger Ausbruch?
»Es reicht, Lucy«, sagt er und faßt über den Tisch nach ihrer Hand. »Willst du mir sagen, daß du das Kind bekommen wirst?«
»Ja.«
»Ein Kind von einem dieser Männer?«
»Ja.«
»Warum?«
»Warum? Ich bin eine Frau, David. Glaubst du, ich hasse Kinder? Sollte ich mich wegen des Vaters gegen das Kind entscheiden?«
»Das ist schon vorgekommen. Wann erwartest du es?«
»Im Mai. Ende Mai.«
»Und dein Entschluß steht fest?«
»Ja.«
»Gut. Das hat mich ziemlich unvermittelt getroffen, gestehe ich, aber ich werde zu dir halten, was du auch beschließt. Das ist keine Frage. Jetzt werde ich einen Spaziergang machen. Wir können später noch reden.«
Warum können sie jetzt nicht reden? Weil er erschüttert ist. Weil die Gefahr besteht, daß auch er in die Luft geht.
Sie ist nicht bereit, das noch einmal durchzumachen, sagt sie. Daher hat sie schon einmal eine Abtreibung vornehmen lassen. Er hätte das nie vermutet. Wann konnte das nur gewesen sein? Als sie noch zu Hause wohnte? Hat Rosalind es gewußt, und wurde es vor ihm geheimgehalten?
Die Dreierbande. Drei Väter auf einmal. Eher Vergewaltiger als Räuber, hatte Lucy sie genannt – Vergewaltiger und Steuereintreiber, die die Gegend unsicher machten, Frauen angriffen, ihren gewalttätigen Vergnügungen nachgingen. Doch Lucy irrte sich. Sie vergewaltigten nicht, sie paarten sich. Nicht das Lustprinzip gab den Ton an, sondern die Hoden, Säcke, prall vor Samen, der darauf brannte, sich zu vervollkommnen. Und nun, sieh da: das Kind! Er nennt es schon das Kind, wo es doch erst ein Wurm im Schoß seiner Tochter ist. Was für ein Kind kann solcher Samen hervorbringen, Samen, der nicht
Weitere Kostenlose Bücher