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Schandtat

Titel: Schandtat Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: PeP eBooks
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er gesagt, Poe? Was ist da los?«
    »Er hat gar nichts gesagt, und genau das ist das Problem. Keiner von euch redet. Also, erzähl du’s mir. Was hast du getan?«
    »Lass mich sofort mit ihm reden. Jetzt!«
    »Nein.«
    »Warum er und ich uns haben scheiden lassen, geht dich überhaupt nichts an, junge Dame.«
    Tränen stiegen mir in die Augen. »Du kannst noch nicht
mal seinen Namen aussprechen, oder? Sein Name ist David, und er ist mein Vater, und es geht mich sehr wohl was an, weil ich Teil dieser Familie bin. Also, warum hast du mir noch nicht mal ein Foto von ihm gezeigt? Erzähl’s mir, Mom!«
    In der Leitung knisterte es, und Moms Tonfall wurde weicher. »Poe, ich würde wirklich lieber persönlich mit dir darüber reden. Lass uns das Thema jetzt nicht vertiefen.«
    »Du hast ihn vertrieben, oder? Du hast mit ihm das Gleiche gemacht, was du mit mir machst, und jetzt mach ich es auch mit allen um mich herum, also erzähl’s mir!«
    »Ich habe es dir doch schon gesagt, Poe. Dein Vater und ich haben unterschiedliche Wege eingeschlagen. Wir …«
    »ERZÄHL ES MIR!«, schrie ich und erschrak gleichzeitig, weil ich mich schon so anhörte wie sie. »Ihr habt keine unterschiedlichen Wege eingeschlagen! Du hast die Situation für ihn so schlimm gemacht, dass er schließlich gehen musste, richtig? Du hast ihm wehgetan, oder? ODER ETWA NICHT?«
    Ihre Stimme überschlug sich. »Poe, bitte! Beruhige dich.«
    Tränen strömten mir übers Gesicht. Was war ich? Was ging hier vor? Warum konnte ich nicht einfach normal sein? Warum konnte in meinem Leben nicht mal irgendetwas funktionieren? Woher kam dieser Zorn in mir? Ich schniefte. »Du bist eine Lügnerin. Ihr seid alle nur beschissene Lügner, und ich hasse euch. Ich hasse euch alle! Du zerstörst mein Leben und verlässt mich und schickst mich hierher, damit ich bei einem Mann lebe, den du hasst, und dann erwartest du von mir, dass ich mich beruhige? Fick dich, Mom! Ich hasse dich.«

    Schweigen.
    Ich wischte mir über die Nase. »Ich muss Schluss machen. Bis dann.«
    »Nein! Leg nicht auf. Bitte.«
    Ich legte nicht auf.
    Eine Minute verstrich. »Bist du noch da?«
    Ich schluckte. »Ja.«
    »Poe, ich habe deinen Vater geliebt. Er ist ein mitfühlender und liebenswürdiger Mann, und ich habe ihm tatsächlich wehgetan. Als er Hilfe brauchte, habe ich ihm seine Schwäche übel genommen und ihm meine Verachtung gezeigt, und am Ende habe ich ihn nur noch gehasst. Ich habe ihn dafür gehasst, dass er Angst hatte, weil ich selbst Angst hatte. Wir waren so jung. Wir jagten unseren Karrieren und unseren Träume nach, und irgendwann wurde es einfach zu viel. Ich war noch in der Ausbildung, dein Vater hatte sich dem Schreiben gewidmet, und dann habe ich es ihm überlassen.«
    »Du hast ihm was überlassen?«
    Lange Sekunden verstrichen. »Dich.«
    »Bitte?«
    »Ich habe damals mitten im Medizinstudium gesteckt, Poe. Ich war fast nie zu Hause, der Druck war enorm. Und als mir bewusst wurde, dass er für dich seinen Traum opferte, habe ich ihn nur noch mehr gehasst, weil ich nicht dazu bereit gewesen wäre.«
    In meinem Kopf ging es drunter und drüber, und mir fielen all die Kindermädchen ein, die ich gehabt hatte. »Was hast du ihm angetan?«
    »Ich bin jemand anderem begegnet.«

    Mir wurde ganz flau im Magen. »Er hat dich erwischt, oder?«
    Sie brachte es kaum über die Lippen. »Ja.«
    Da stand ich nun, total fassungslos. So etwas hätte nicht passieren dürfen. Nicht mit meiner Mom. Nicht mit diesem Mann, der mein Vater war. Meine Mutter war immer völlig immun gegen jeden möglichen Fehltritt gewesen. Sie war der verkniffenste Moralapostel, den ich kannte. Und ausgerechnet sie hatte jemanden betrogen. Ganz plötzlich wollte ich die Wahrheit gar nicht mehr hören. Ich wollte sie nicht sagen hören, dass sie auch nur ein Mensch sei. Sie war nie menschlich gewesen. Mir ging durch den Kopf, was mein Vater zu mir über Verachtung gesagt hatte. Über das Alleinsein. Da wurde mir klar, dass meine Mutter schon immer allein gewesen war. Sie hatte niemals jemanden wirklich an sich herangelassen, und ihre Verachtung hielt alle fern. Sogar mich …
    »Bist du noch dran, Poe?«
    »Also hat er dich verlassen.«
    »Nein. Ich habe ihn weggeschickt.«
    »Und dann ist er hierher gekommen und hat sich versteckt.«
    »Mag sein. Ich weiß es nicht.«
    Die Worte brannten wie Säure auf meiner Zunge. Ich musste sie einfach ausspucken. »Also darum tust du jetzt so, als wärst du ein guter Mensch,

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