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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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mit seiner Zurschaustellung ordentlich Öl ins Feuer gegossen. Jetzt wollten die Leute auch etwas sehen und ihre abergläubischen Ängste mit dem Feuer des Scheiterhaufens vertreiben. Dabei war in Hamburg schon seit knapp sechzig Jahren keine Frau mehr als Hexe verurteilt oder gar hingerichtet worden. Das letzte Opfer war 1642 eine gewisse Cillie Hemels gewesen, die wegen Zauberei und Mordes an ihrem Mann zum Tod durch den Scheiterhaufen verurteilt worden war. Wrangel kannte den Fall aus seinem Studium bei Thomasius in Halle. Der hatte daran gezeigt, wie die Hamburger ihre Hexen mehr oder minder wie gewöhnliche Verbrecher vor Gericht stellten und somit vielerlei Scherereien und Hysterien aus dem Weg gingen. Tatsächlich hatten sich Rat und Niedergericht der Stadt schon lange der Vernunft verschrieben und sie bisher auch walten lassen. Aber in den Köpfen der Menschen war sie noch nicht eingekehrt, schon gar nicht, wenn es um die Ängste der Männer ging.
    »Prokurator Wrangel, was wartet Ihr auf der Straße im Regen? Steigt schnell ein und wärmt Euch auf!«
    Jurek sprang mit einem großen Satz vom Kutschbock und schob Wrangel zum Verschlag der Kutsche. Der bemerkte erst jetzt, dass der Regen von seiner Hutkrempe tropfte.
    »Was ist Euch widerfahren? Ihr seht ganz bleich aus!«, begrüßte Ruth besorgt den nassen Mann und reichte ihm ein Tüchlein, damit er sein Gesicht trocknen konnte.
    »Es sieht nicht gut aus für meine Mandantin, obwohl meine Zweifel an ihrer Schuld immer größer werden.«
    »Wie kann das sein? Erzählt mir, was Ihr hier herausgefunden habt. Vielleicht hilft es Euch, Eure Gedanken zu ordnen und klarer zu sehen.«
    Wrangel lehnte sich zurück in die schweren Lederpolster der Kutsche, atmete tief durch und begann zu erzählen. Ruth hörteihm aufmerksam zu und studierte jede seiner Gesten während der Schilderung der letzten zwei Tage.
    » Als sich die beiden Männer vorhin genüsslich geifernd über das Schicksal der Bunk ereiferten, wurde mir klar, dass die Last der Verantwortung, die auf mir liegt, weit über das Schicksal dieser Frau hinausreicht und ich mit ihrer Verteidigung auch für den Erfolg von Vernunft und Aufklärung kämpfe. Nur weiß ich einfach nicht, wie ich einem Menschen helfen soll, der sich nicht helfen lassen will.«
    »Warum will sich Eure Mandantin denn nicht helfen lassen?«
    »Wenn ich das wüsste, liebe Ruth, wäre mir schon viel geholfen.«
    Ruth fixierte konzentriert ihre Fingerspitzen und dachte eine Weile schweigend nach. »Ihr sagtet, die Hebamme habe von zwei Seelen in Bunks Brust gesprochen. Kann es nicht damit zu tun haben, dass Ihr nicht an sie herankommt?«
    »Warum? Was hab ich schon mit der Seele dieser Frau zu tun? Nicht ihr Pastor bin ich, sondern ihr Advocatus. Nicht für die Rettung ihrer Seele bin ich zuständig, sondern für die Rettung ihres Leibes und Lebens vor dem Schafott.«
    »Vielleicht hängt aber gerade das enger zusammen, als Ihr ahnt«, warf Ruth vorsichtig ein. »Denn ist die Seele nicht zu retten, kann der Leib nicht weiterleben. Wie ich Eurer Erzählung entnehme, hat die Hebamme gewusst, dass Bunk eine Frau ist, aber beständig von ihr als Mann gesprochen. Damit hat sie Bunks Wunsch, ein Mann zu sein, Respekt gezeigt.«
    Wrangel sah die junge Frau verwirrt an. »Ja, aber Bunk war doch gar nicht dabei. Vor mir hätte sie einfach so sprechen können, wie die Dinge sind, eben von der Frau.«
    »Aber vielleicht sind die Dinge gar nicht so, wie Ihr glaubt, dass sie sind.«
    Jetzt war Wrangel wirklich verwirrt. Worauf wollte Ruth hinaus? Dass die Frau doch keine Frau, sondern ein Mann war? Es bestand aber kein Zweifel daran, dass es sich bei Bunk um eine Frau handelte. »Glaubt mir, Ruth, ich erkenne eine Frau, wenn ich sie sehe, zumal wenn sie – entschuldigt die direkten Worte – nackt vor mir steht.«
    Ruth erwiderte unerschrocken Wrangels Blick. »Ihr erkennt den Körper als den einer Frau. Aber Ihr erkennt nicht die Seele, die in ihm lebt.«
    Wrangel schüttelte abwiegelnd den Kopf.
    »Lasst es mich anders versuchen, Euch zu erklären«, fuhr Ruth unbeirrt fort. »Wie Ihr wisst, habe ich die letzten beiden Tage bei einem engen Freund meines Vaters verbracht. Seine Frau wiederum war eine enge Freundin meiner Mutter. Es war das erste Mal seit dem Tod meiner Mutter vor drei Jahren, dass ihre Freundin Judith zu mir von Frau zu Frau über meine Eltern sprach. Bis gestern habe ich nicht verstanden, warum meine Mutter als junges Mädchen mit

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