Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
Vom Netzwerk:
zweifelhafte Version der medizinischen Verarbeitung des Kopfes stützt. Wilken zeigte sie mir heute Vormittag. Aber damit noch nicht genug. Selbst Bunk hat ihren Widerruf zurückgezogen und scheint gewillt zu sein, auf dem Richtplatz zu enden. Wilken gab mir ihre neue Aussage. Die ist ungeheuerlich. Bunk hat ihre Beschuldigungen gegen die Jürgensen sogar noch erweitert. Selbst vor dem Teufel schreckt sie nicht zurück, um die Frau als Hexe erscheinen zu lassen. Und ich, mein lieber Claussen, stehe da wie ein Trottel, der dem Recht zu seinem Recht verhelfen will, aber keinen interessiert es. Kommenden Montag bereits will der Prätor die Inquisiten vor dem Richter die Urgicht schwörenlassen, damit noch in diesem Jahr ein Urteil gefällt werden kann.«
    Claussen schwieg und ließ seinen Blick über die winterlichen Grasflächen streifen. Die Halme waren vereist und glitzerten in der Sonne. Träge floss die Elbe im Süden dahin. Zwei Jungen hüteten eine kleine Herde Schafe, die genügsam die eisigen Halme abknabberten. Die beiden Männer gingen unterhalb der Wallanlagen über einen Trampelpfad auf das Sandtor zu. Auf dem Wassergraben bildeten sich schon erste Eisflächen.
    »Was Ihr da erzählt, gibt mir wirklich zu denken. Wie es scheint, haben sich alle Beteiligten in den letzten zwei Wochen dafür entschieden, eine einheitliche klare Lösung für den Fall anzustreben, der Prätor ebenso wie Eure Mandantin. Nur mit den Fakten, die bezeugen, was wirklich geschah, scheint all dies wenig zu tun zu haben.«
    »Genau so sehe ich es auch. Aber leider haben die Fakten allein vor Gericht keine Beweiskraft. Worauf es ankommt, sind die Geständnisse aus freien Stücken. Und an diesem Punkt versagt mein Verstand. Denn Bunk wurde gefoltert, ohne dass sie ein einziges Wort widerrief. Ihre beiden Daumen sind bis auf die Knochen zerquetscht, ihr linkes Bein ist blauschwarz gepresst. Erst als man schon von ihr abgelassen hatte, entschied sie sich auf einmal, ganz von sich aus, so sagt es zumindest der Aktuar, ihren Widerruf zurückzuziehen und noch weitere sie selbst und die anderen belastende Aussagen zu machen. Warum nur, Claussen? Was ist in sie gefahren, und was soll ich jetzt tun?«
    »Sie muss einen triftigen Grund dafür haben, dass ihr der Tod erstrebenswerter erscheint als das Leben. Aber Ihr, Wrangel, Ihr müsst gar nichts tun. Es ist nicht Eure Aufgabe, diese Frau vor sich selbst zu schützen, sondern lediglich, sie und ihre Rechte vor dem Niedergericht zu vertreten und damit die Ordnung aufrechtzuerhalten. Verrennt Euch nicht mit Eurer Aufgabe als ihr Advocatus.«
    »Was meint Ihr damit?«
    »Nun«, Claussen blieb stehen, faltete seine Hände und blickte Wrangel direkt in die Augen. »Was wisst Ihr über die Abgründe, in die Eure Mandantin in ihrem Leben geschaut hat? Ihr Leben als ständiges Geheimnis, die Angst der Enttarnung, die Furcht vor der Sünde, die sie tagein, tagaus beging. Ein Mensch, der so einen Weg beschreitet wie jene Ilsabe Bunk, scheint mir auf der verzweifelten Suche nach sich selbst zu sein, ohne sich jedoch je finden zu können. Denn sie will sich nicht fügen in die unumstößlichen Vorgaben, die Gott ihr mit auf den Weg gegeben hat. So findet sie kaum je einen Platz in der Gesellschaft, an dem sie verweilen und in Geborgenheit ruhen kann. Auch wird sie kaum einen Menschen finden, dem sie vertrauen kann. Einsamkeit und Enttäuschungen, sicherlich auch tiefe Verletzungen dürften die täglichen Begleiter durch ihr Leben sein. Da mag ihr der Tod als Erlösung erscheinen.«
    »Aber warum will sie unschuldige Menschen mit sich in diesen Abgrund stürzten?«
    »Vielleicht hat ihr sündiges, glückloses Leben sie schon so verdorben, dass sie in jedem einen Schuldigen an ihrem eigenen Leid sieht und blinde Rache für all das nimmt, was sie selbst durchlitten hat. Darum, mein Freund, hört meine Warnung. Lasst Euch nicht in diese Spirale des Hasses und der Rache hineinziehen, die Euer eigenes Leben vergiften könnte.«
    Wrangel schluckte.
    »Der Prätor aber«, fuhr Claussen fort, »ist ein erfahrener Mann, der es versteht, aus menschlichen Schwächen politischen Nutzen zu ziehen. Ein sauber gelöster Mordfall dürfte ihm gut zu Gesicht stehen in diesen unruhigen Zeiten, in denen sich dieMenschen von allen Seiten bedroht fühlen. Ich will kein Urteil über den moralischen Aspekt seines Handelns sprechen. Dem Gemeinwohl aber dient es, sofern er sich nach den Vorgaben richtet, die laut Gesetz für die

Weitere Kostenlose Bücher