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Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
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brüsk ab und trat in ein gutbesuchtes Gasthaus ein.
    Wrangel blieb verwundert draußen stehen. Noch nie hatte Dr. Meyer so deutlich mit ihm geredet, ja ihn sogar gewarnt. Normalerweise enthielt er sich grundsätzlich einer Meinung, weshalb er als Doktor der Juristerei auch nicht Prokurator, Fiskal oder Richter, sondern Aktuar geworden war.
    Nachdenklich kehrte Wrangel um. Trotz dieser Warnung wollte er versuchen zu beweisen, dass die Tote nicht Maria Rieken war. Sollte sich Bunk doch noch dazu entschließen, erneut zu widerrufen, so lägen dann wenigstens die Fakten zu ihrer Unterstützung bereit. Wenn die Unterlagen über die anatomische Begutachtung nicht mehr aufzufinden waren, so könnte zumindest der Physikus als Zeuge aussagen.
    Keine zehn Minuten später klopfte Wrangel an der Haustür des Physikus. Mit schlurfendem Schritt kam der Mann an die Tür und musterte ihn skeptisch.
    »Guten Tag, Dr. Biester. Ich bin Prokurator Wrangel und warbereits vor vier Wochen bei Euch wegen der Unterlagen über die anatomische Begutachtung der Frau ohne Kopf. Erinnert Ihr Euch?«
    »Ja, aber was behelligt Ihr mich schon wieder zur Mittagszeit? Die ungestörte Einnahme einer Mahlzeit ist essentiell für die Gesundheit«, brummte der kräftige Mann.
    »Leider ist der Bericht über Eure Begutachtung, der bei Euch von einem Gerichtsdiener abgeholt wurde, nicht mehr auffindbar.«
    »Was für ein Bericht? Ich kann mich an keinen Bericht erinnern.«
    Wrangel stutzte. »Aber Ihr erinnert Euch noch an die Frau ohne Kopf, nicht wahr? Ihr sagtet mir, sie sei dick gewesen. Wärt ihr bereit, dies vor dem Niedergericht zu bezeugen?«
    »Woher soll ich wissen, wie irgendeine Tote auf meinem Seziertisch aussah? Wisst Ihr, wie viele Patienten ich alljährlich sehe und wie viele Leichen jedes Jahr über meinen Tisch wandern? Zusammengenommen an die tausend Stück! Wie soll ich mich da an eine einzelne erinnern? Ihr verlangt Unmögliches von mir, Prokurator. Ich kann gar nichts dergleichen bezeugen. Und nun entschuldigt mich, mein Essen wartet.« Damit schloss er, ohne auf eine Erwiderung zu warten, die Haustür.
    So kam er nicht weiter, das war Wrangel klar. Aber vielleicht sollte er auch gar nicht weiterkommen, zumindest nicht auf diesem Weg. Aus einem offenen Fenster des Ratskellers zog der Duft gebratenen Fleisches in seine Nase. Er hatte Hunger, Bunks Verteidigung hin oder her. Mit vollem Magen ließ es sich bestimmt besser über all die Widerstände bei diesem Mandat nachdenken.
    Die Schankstube des Ratskellers war gut besucht. Wrangel begrüßte einige Männer, die er vom Gericht her kannte, undsuchte sich dann einen Platz in einer abgelegenen Ecke. Kaum hatte eine Magd ihm einen Krug Bier und ein ordentliches Stück Spanferkel gebracht, als sich die Tür des Ratskellers öffnete und Michel Wilken in Begleitung von Wrangels Bruder Albrecht hereinkam. Wrangel versteckte sein Gesicht hinter dem erhobenen Bierkrug. Aber die beiden achteten auf niemanden im vorderen Teil der Schankstube, sondern gingen direkt zu den Ratsherrentischen.
    Wrangel spähte ihnen hinterher. Beide wirkten sichtlich aufgeräumt und zufrieden, als ob ihnen der Morgen an der Börse reichliche Gewinne gebracht hätte. Albrecht hielt seine dicken Finger über dem gewölbten Bauch verschränkt und lachte hin und wieder polternd auf. Auf einmal überkam Wrangel die Vorstellung, wie diese dicken Finger die zarte Elisabeth anfassten, ihren nackten Körper hielten und sich überall dorthin vergruben, wovon Wrangel früher noch nicht einmal zu träumen gewagt hatte. Heiße Eifersucht packte ihn.
    Schon immer hatte sein Bruder ihm weggenommen, was er nur konnte. Die Aufmerksamkeit des Vaters, auch die Liebe und Zärtlichkeit der Mutter. Stets drängte sein Bruder sich dazwischen, wenn die Eltern sich einmal mit ihm, dem kleinen Hinrich, beschäftigten, und führte ihnen sofort vor Augen, was er besser als sein kleiner Bruder konnte und um wie vieles ordentlicher und gehorsamer er war. Auch im elterlichen Kontor sorgte Albrecht dafür, dass er die wichtigeren Aufgaben zu erledigen bekam, als der Vater entschied, dass die Jungen früh um das kaufmännische Handwerk wissen sollten. Hinrich stellte er, so oft es ging, als Trottel dar, bloß weil er mit dem Rechnen noch nicht so sicher war. Als die Jungen zu St. Nikolaus jeder einen Teller mit Nüssen und Spekulatius bekamen, aß Albrecht heimlich Hinrichs Kekse auf, weil dieser einmal nicht auf seinen Teller achtgab. Und genau

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