Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Schandweib

Schandweib

Titel: Schandweib Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Claudia Weiss
Vom Netzwerk:
verlassen. Mit keinem Wort hatte ihr Vater den Antrag Benjamins erwähnt. Überhaupt hatte er das Thema Ehe nicht wieder berührt. Hatte er sich etwa entschlossen, ohne ihre Beteiligung einen Ehemann für sie auszusuchen? Wenn es so wäre, dann brauchte er jetzt auch nicht mehr ihre Zustimmung. Ruth spürte, wie sie von Wut gepackt wurde. Warum hatte er so lange geschwiegen? Was ging hier vor sich? »Was ist das für ein Spiel, Vater?«
    »Schach, mein Kind, sehr klassisch von Weiß eröffnet mit dem Bauern von e2 nach e4. Auch die Antwort deines Bauern von e7 nach e5 erscheint mir doch sehr klassisch offensiv.«
    »Warum hast du mir das Anliegen von Benjamin Levi so lange verschwiegen?«
    Moses Abelson schaute vom Schachbrett zu seiner Tochter und wieder auf das Brett. »Weil es nicht an dich gerichtet war«, sagte er dann und zog den weißen Springer auf f3.
    »Warum war es nicht an mich gerichtet? Schließlich geht es doch um mich als Ehefrau!« Ruth funkelte ihren Vater mit erregtem Blick an und zog ihren Springer auf c6.
    »Im Wesentlichen ging es um mich als Freund der Familie, als Geschäftsmann und als deinen Vater.« Abelson schob den weißen Läufer auf b5 und trank gemächlich einen Schluck Port.
    Ruths Hand zitterte vor Erregung, als sie ihren Bauern auf a6 schob. War die Entscheidung über ihre eheliche Zukunft nur noch ein Aspekt unter vielen in den Beziehungen der Familien Levi und Abelson? Sie konnte einfach nicht glauben, dass ihr Vater ihr das antun würde. Moses Abelson zog den weißen Läufer auf c6 und nahm den schwarzen Springer. Augenblicklichzog Ruth einen Bauern von d7 auf c6 und nahm den weißen Läufer.
    Plötzlich hustete Moses Abelson und rang nach Luft. Ruth schaute ihn einen Moment unverwandt an, bis es sie endlich durchzuckte, sie aufsprang und ihm mit festen Schlägen auf den oberen Rücken klopfte.
    Nach einem Augenblick hob der alte Mann die Hand und bedeutete ihr damit innezuhalten. »Danke, mein Kind. Es geht schon wieder. Etwas Port ist mir in den falschen Hals gekommen.« Er zog ein weißes Taschentuch aus seiner Tasche und tupfte sich vorsichtig die Lippen ab. Dann zog er seinen Springer auf e5 und nahm den schwarzen Bauern.
    Ruths Blick wanderte flackernd vom Brett zu ihrem Vater. »Aber wie kann es bei einem Antrag um meine Hand nur in letzter Linie um mich gehen? Sind denn meine Bedürfnisse, meine Gefühle so nebensächlich?« Mit fester Hand schob sie die schwarze Dame auf d4.
    »Oft ist es nicht gut, frühzeitig die Dame ins Zentrum zu führen.« Er zog den weißen Springer zurück auf f3.
    »Keine Regel ist ohne Ausnahme.« Ruth schob die schwarze Dame auf e4 und kickte wütend den weißen Bauern vom Spielfeld. »Schach.«
    Abelson lächelte Ruth verschmitzt an und schob seine Königin auf e2.
    Kampfwütig rammte die schwarze Dame die weiße vom Feld. »Schach!«
    Abelson schüttelte den Kopf und nahm die schwarze Dame mit seinem König.
    »Warum, Vater?«
    »Du hast dich derart von deinen Gefühlen treiben lassen, dass wir nun ohne Damen weiterspielen müssen.«
    »Das tut ihr doch sowieso! Wann fragt man mich schon mal, was ich mir wünsche? Die Männer diktieren die Regeln, und die Frauen haben sich zu fügen.«
    »Darum braucht eine Frau einen starken Mann, der sie liebt, achtet und sich um sie kümmert, so gut er es nur vermag.«
    Ruth zog den schwarzen Läufer auf e6 und atmete verächtlich aus. »Und Benjamin Levi scheint dir der Mann zu sein, der diese Qualitäten bei mir an den Tag legen wird?«
    Moses Abelson lehnte sich langsam zurück und schaute seiner Tochter tief in die Augen. Dann griff er ihre Hand. »Auf diese Frage weiß ich ebenfalls noch keine Antwort, mein Kind.«
    Ruth schaute ihren Vater irritiert an.
    »Du erinnerst dich sicherlich an unser Gespräch in Amsterdam, als ich dich bat, dir ein Bild von Benjamin zu machen und dich zu fragen, ob er dir als Ehemann zusagen würde.«
    Ruth blickte verlegen zu Boden. Sie erinnerte sich nur zu gut an dieses Gespräch. Bis heute hatte sie sich nicht entscheiden können, ob Benjamin die richtige Wahl für sie wäre. Viele Umstände sprachen für eine Ehe mit ihm, allein ihr Herz schlug nicht für ihn. Aber wie sollte sie das ihrem Vater sagen, der sein Leben neben einer Frau verbracht hatte, die sich selbst vor Kummer und Sehnsucht verzehrte? War sie ehrlich mit sich selbst, so musste sie zugeben, dass sie seit Wochen jedem Gespräch mit ihrem Vater, das in diese Richtung deutete, ausgewichen war.
    »Und,

Weitere Kostenlose Bücher