Schandweib
»Nun, Prokurator Wrangel, dann wird es an Euch sein, mir bis Montag, den 15. November eine ausführliche Aussage Eurer Mandantin einzureichen, aus der sich ersehen lässt, wer dieses sittenlose Geschöpf ist und wie sie ihr Leben bestreitet. Kommt mir bloß nicht wieder mit so einer unzureichenden Arbeit wie heute vor Gericht, wo Ihr noch nicht einmal den Namen des Weibes habt nennen können. Auch will das Niedergericht geklärt wissen, wie dieses Mannweib sich fleischlich mit Frauen vereinigt und diese so blendet, dass sie den Trug nicht merken. Dem Volk düngt es als Hexerei. Mir hingegen sieht es bisher doch ganz so aus, als haben wir es hier nur mit einem Haufen billiger Lügen zu tun, um die geile Gier dieses Weibes auf einejunge Frau zu vertuschen. Wer der einen den Bauch aufschlitzt, der ist auch zuzutrauen, der anderen den Kopf abzutrennen.«
»Ich habe niemanden umgebracht!«, schrie Bunk auf und ging zwei große Schritte auf den Tisch zu. Doch schon hatte Jürgen sie gepackt und zu Boden geworfen. Schreiend und fluchend trat sie um sich.
»Meister Ismael, Ihr seid auch weiterhin für die Verwahrung der Gefangenen zuständig, bis wir uns ein klares Bild über ihre Schuld am Verschwinden und vielleicht auch Tod von dieser Rieken machen können. Damit beende ich das Verhör für heute.«
Mit einem kräftigen Ruck schob der Prätor seinen Stuhl zurück und erhob sich. Zugleich war der Brookvogt zur Stelle, half Wilken aus der engen Nische heraus und geleitete ihn durch die schwere, mit Eisen beschlagene Holztür hinaus, die er während des Verhörs mit einfältiger Inbrunst bewacht hatte.
15
W rangel hatte keine Zeit zu verlieren. Etwas stimmte hier nicht. Keine Frage, diese Bunk war ein liederliches Weib, ein Schandpfuhl für jeden anständigen Menschen. Doch konnte man sie deshalb doch nicht sogleich zum Sündenbock für die ungeklärten Fälle des Prätors machen. Monatelang hatte Wilken die Leiche vom Schweinemarkt nicht ernstlich interessiert. Doch jetzt auf einmal glaubte er aus dieser elendigen Frau politisches Kapital schlagen zu müssen. Hier drohte er die Grenze von Recht und Gerechtigkeit zu überschreiten. Dabei sah ihm das nicht ähnlich. Wrangel hatte ihn als äußerst korrekten, verantwortungsbewussten Prätor kennengelernt. Zweifel an seiner Arbeit waren ihm bisher noch nicht gekommen.
Vielleicht war es auch Wrangels eigene Schuld. So abgestoßen hatte ihn dieser Fall des Mannweibs, dass er tatsächlich nahezu unvorbereitet in die Zeugenvernehmung getappt war. Ein schöner Prokurator war er, der bereits bei der ersten billigen Frage die Antwort schuldig bleiben musste. Hatte er nicht eine Mitschuld daran, dass die Bunk sogleich einem peinlichen Verhör unterzogen wurde? Er konnte nur hoffen, dass sie daraus gelernt hatte. So wie er. Wollte er seinem juristischen Anspruch gerecht bleiben, galt es, eine rundum befriedigende Aussage zu erstellen, die keinen Zweifel offenließ.
Der erste Zweifel, der ihm sofort in den Kopf schoss, war die Beschreibung von Maria Rieken. In seiner Erinnerung hatte die Leiche gänzlich anders ausgesehen. Dick war sie, um nicht zu sagen fett. Bleich war die Haut der Frau gewesen und rot das Haar, das sich wild um ihre Scham gekräuselt hatte. Er musste zum Physikus Dr. Biester und in dessen Aufzeichnungen nachlesen, wie es tatsächlich um die Leiche bestellt gewesen war. Ebenso musste er zu dieser Krämersfrau im Beckergang. Wenn sie Bunks Aussage bestätigen konnte und vielleicht sogar wusste, wo die Rieken heute zu finden war, dann wäre die Sache schnell vom Tisch.
Eilig machte sich Wrangel auf den Weg. Als es von St. Michaelis zwölf Uhr schlug, bog er in den Beckergang. Die Jähner’sche Arzneienkrämerei war in einem windschiefen kleinen Fachwerkhaus untergebracht, dessen Dachschindeln wie zufällig verstreut langsam auf die Straße zu rutschen drohten. Das eiserne Schild baumelte quietschend an einer rostigen Kette im Wind. Als Wrangel die Tür öffnete, erklang eine Reihe kleiner Glöckchen, die dicht neben den Türangeln angebracht waren. Der mit dunklem Holz getäfelte Verkaufsraum war leer, ein schwerer Geruch von Kampfer erfüllte die kalte Luft.
Aus einer hinteren Kammer kam eine kleine zierliche Frau hervor.
»Frau Jähner?«
»Die bin ich. Was kann ich für den Herrn tun?«
»Mein Name ist Hinrich Wrangel. Ich bin Prokurator am Niedergericht und möchte von Euch gern einige Erkundigungen einholen.«
Die Frau blinzelte Wrangel neugierig
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