Scharfe Pranken
gehen.«
»Danke, Dr. Metzger!«
Sie lachte und beugte sich tiefer hinunter, um die beinahe verheilte Wunde zu untersuchen. »Irgendeine Ahnung welches Kaliber?«
»Sah aus wie ’ne 45er.«
»Eine 45er, um ein mächtiges Bären-Kätzchen aufzuhalten? Törichte Vollmenschen.«
»Hör auf, mich so zu nennen.« Er ließ seine Schulter kreisen. »Hast du Hunger?«
»Ich bin am Verhungern.«
»Um diese Zeit haben wir in Ursus County zwei Möglichkeiten: Die Krankenhauscafeteria oder …« Er deutete mit einem Kopfnicken in Richtung Fenster, und Blayne richtete ihren Blick auf die verschneite Landschaft – und auf die kleine Rotwildfamilie, die draußen vorbeistakste. Sie grinste, und ihr Magen grummelte zustimmend.
»Ich bin für ›oder‹«, sagte sie. »Definitiv für ›oder‹. Außerdem«, sie klatschte in die Hände, »will ich sehen, wie du aussiehst, wenn du dich verwandelst!« Sie war immer wieder erstaunt, was die Natur sich alles ausdachte, wenn sich zwei Arten vermischten. Sie konnte es kaum erwarten, aber Bo wirkte ein wenig erschrocken. »Was ist denn?«
»Nichts. Aber du darfst nicht lachen.«
»Lachen? Warum sollte ich lachen?«
Anstatt ihr zu antworten, verwandelte Bo sich. Direkt auf dem Bett. Blayne lachte nicht, aber sie quietschte laut und war aufgrund der schieren Größe von Bo Novikovs Tiergestalt gezwungen, vom Bett zu springen.
Seine Tiergestalt war im Prinzip nichts anderes als ein gut siebenhundert Kilo schwerer, knapp vier Meter langer weißer Löwe. Seine Vorderpfoten sahen genauso aus wie bei allen anderen Löwen, aber seine Hinterpfoten waren die eines Eisbären und tellergroß. Sie waren mit weißem Fell bedeckt, und aus jeder Pranke ragten gut zwanzig Zentimeter lange schwarze Krallen hervor. Seine Ohren waren viel zu klein für die schlichtweg gigantische Mähne, die ihm gewachsen war, und sein Gesicht wirkte mit der flachen schwarzen Nase anstelle einer längeren Eisbärschnauze eindeutig katzenartig.
Was Blayne jedoch am meisten faszinierte, waren seine Reißzähne. Sie starrte sie unverhohlen an und konnte dabei nur an prähistorische Säbelzahnkatzen denken: Sie waren gut fünf Zentimeter dick, knapp zwanzig Zentimeter lang und gefährlich scharf. Seine vorderen Schneidezähne reichten über seine Unterlippe bis unter das Kinn.
In menschlicher Gestalt glich er vielleicht eher einem Bären, aber wenn er sich verwandelte, war er einfach eine riesige Katze, schwerer und größer als ein Liger. Und Blayne hätte darauf gewettet, dass in ihm auch all die Aggression eines Löwen steckte, die in diesem Körper Platz fand.
Er beobachtete sie genau. Wahrscheinlich hatte er Angst, dass sie wieder versuchen würde, vor ihm davonzurennen, aber sie war einfach zu fasziniert.
Blayne kletterte wieder aufs Bett und warf sich auf ihn. Lachend fuhr sie mit ihren Händen durch seine Mähne und über seinen Körper. Sie konnte es kaum erwarten, zu sehen, wie er sich bewegte und wie er jagte. Als sie wieder von ihm herunterkrabbelte, rannte sie zum Fenster und öffnete es. Sie ignorierte die eisige Kälte, die hereinströmte, und verwandelte sich ebenfalls. Dann sprang sie hinaus und drehte sich schnell wieder um, um ihn beobachten zu können.
Bo machte einen Satz vom Bett direkt durch das offene Fenster, ohne den Boden zu berühren. Trotz seiner immensen Größe bewegte er sich mit der Geschmeidigkeit einer Katze. Als Blayne ihm hinterherrannte, wusste sie, dass sie mächtig in Schwierigkeiten steckte: Sie hatte in ihrem Leben noch nie etwas Schöneres gesehen als diesen verwandelten Bo Novikov. Die Intensität ihrer Gefühle erinnerte sie an etwas, das ihre Mutter ihr einst erzählt hatte, obwohl sie damals noch viel zu jung gewesen war, um es wirklich zu verstehen. »Ich habe deinen Vater verabscheut, bis ich gesehen habe, wie er einen Elch erlegt hat. Das und die Art, wie er auf seiner Harley saß – ich war verloren, Kleines. Verloren.«
Ja, nun verstand sie es endlich.
Kapitel 17
Blayne spürte, dass jemand vor ihr stand. Sie wusste, dass es nicht Bo war. Er war hinter ihr, wie er es die ganze Nacht über gewesen war, und hielt sie in seinen mächtigen Armen. Obwohl sich seine rasiermesserscharfen Krallen dabei in der Nähe ihrer lebenswichtigen Organe befanden, hatte sie sich in keinem Augenblick unsicher gefühlt. Nicht mit Bo. Nie mehr. Nun kam jedoch irgendjemand in Menschengestalt von vorn auf sie zu und beugte sich zu ihnen herunter. Blayne öffnete noch nicht
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