Scharfe Pranken
mir davon«, stellte er klar.
Natürlich würde sie davonrennen. Erwartete er wirklich, dass sie noch hierblieb? Aber sein Griff war stark, und Blayne musste davon ausgehen, dass er zu den wenigen gehörte, denen die Zerfleischungstechnik mit ihren Windmühlenklauen nichts anhaben konnte.
Also tat sie das Nächstbeste, was ihr einfiel. Sie log. »Ich kann mich an nichts erinnern«, behauptete sie. Ihr Vater, der stets für das Unausweichliche plante, hatte ihr beigebracht, dass dies in fast allen unangenehmen Situationen ihre beste Ausrede war. Und diese Situation hier war unangenehm.
»Hast du Angst, dass ich dich verrate?«, fragte er und strich mit den Fingern seiner freien Hand über ihre Wange.
Mich verrätst, mich einschläfern lässt … was auch immer.
»Ich werde niemandem verraten, was ich gesehen habe, Blayne. Ich werde dich niemals verraten. Das ist unser Geheimnis.«
Sie wollte ihm glauben, aber …
»Ich verspreche es.« Er nahm ihr Kinn und zwang sie, ihm direkt in die Augen zu sehen. Sie hatte gar nicht gemerkt, dass sie ihren Blick abgewandt hatte. »Ich schwöre dir, dass ich niemals ein Wort sagen werden.«
»Es war Daddy«, platzte sie heraus. »Nach dem, was mit Mom passiert ist … er wollte sichergehen, dass ich mich …«
»Dass du dich verteidigen kannst. Ich bin froh darüber. Ich bin froh, dass er das getan hat.«
In ihrem Lachen lag ein Hauch von Panik. »Aber er war es nicht. Der mich unterrichtet hat, meine ich. In Menschengestalt ist Daddy nicht gerade der beste Kämpfer. Außer in irgendwelchen Prügeleien mit seiner Motorradgang. Aber er hat eine Menge Freunde. Bei der Einheit, beim Corps, bei der Navy … und ein paar Wildhund-Freunde meiner Mom, die in der israelischen Armee waren.« Sie kaute auf ihrer Unterlippe und zitterte am ganzen Körper. »Nur Gwenie weiß es.«
»Kein einziges Wort, Blayne. Nicht von mir. Niemals.«
Sie schluckte und holte tief Luft. Ihr wurde bewusst, dass Bo, ebenso wie Gwen, wusste, was passieren konnte, wenn er sie verriet. Wolfshunde galten als labil und gefährlich. Fügte man dieser Kombination noch antrainiertes Geschick im Umgang mit Waffen hinzu, verdoppelte dies die Furcht der anderen Gestaltwandler. Einige reinrassige Gestaltwandler würde es zwar nicht weiter interessieren, aber es gab nun mal auch andere … andere, die es zu ihrer Mission machen würden, sie für immer aus dem Weg zu räumen.
Aber Bo war nicht so. Niemals. Er würde ihr Geheimnis bewahren. Das wusste sie.
Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und umarmte ihn, und ihr rasender Herzschlag kehrte wieder zu seinem normalen Tempo zurück.
Bo drückte sie ebenfalls an sich und streichelte mit seinen Händen über ihren Rücken.
Als sie schließlich aufgehört hatte zu zittern, löste sich Blayne von ihm. Ihre Gedanken an heißen, wilden Sex waren wie weggefegt, und sie griff nach seinem eingegipsten Arm. »Wie geht’s dem Arm? Ehrlich?«
Bo tastete den Gips mit seiner freien Hand ab, und im nächsten Augenblick krallte er sich daran fest und riss ihn mit Leichtigkeit ab. Er wischte den Rest des Gipsmaterials ab, das noch an seinem Arm klebte, und bewegte ihn vorsichtig. »Fühlt sich gut an. Aber ich werde es erst mit Sicherheit wissen, wenn ich wieder auf dem Eis stehe.«
»Von mir aus können wir später wieder zurückfahren, wenn du schon so weit bist.«
»Gut.« Seine Hand legte sich um ihr Kinn. »Da gibt’s noch ein paar unerledigte Dinge, um die wir uns kümmern müssen.«
Sie spürte ein heißes Kribbeln. Sie wusste, dass er sie wollte. »Ja, das müssen wir.«
»Und abgesehen davon will ich nicht mehr Zeit hier verbringen als unbedingt nötig.«
»Warum?« Er gab ein Brummen von sich, und Blayne fragte: »Hast du mich gerade angeknurrt?«
»Ich will nicht darüber sprechen.«
»Über das Knurren oder darüber, warum du nicht hierbleiben willst? Weil ich mir nämlich eher Sorgen darüber mache, dass du mich anknurrst.«
»Blayne.«
»Klingt es so, wenn du streng mit mir bist?«
Er zuckte mit den Schultern. »So was in der Art.«
»Das war aber ziemlich schwach. Da bist du ja strenger, wenn wir trainieren.« Sie piekte ihn mit dem Finger in seine verwundete Schulter. »Tut das weh?«
»Nein.«
Blayne kniete sich hin, legte eine Hand auf seinen Mund und riss mit der anderen das Pflaster ab. Bo brüllte vor Schmerzen, aber sie ignorierte ihn, um sich die Wunde genauer zu betrachten. »Sie müssen die Fäden ziehen, bevor wir
Weitere Kostenlose Bücher