Schatten Der Erinnerung
zurückgelassen hatte.
Edward blickte erstaunt drein und sagte dann: »Vielleicht ist es so am besten.«
Slade begriff, was er damit meinte, und sah ihn an. »Hat sie James geliebt?« Wenn ja, war es besser, dass sie sich nicht erinnerte, denn so blieb ihr wenigstens zeitweise etwas von dem Schmerz erspart.
»Woher zum Teufel soll ich das wissen? Du bist derjenige, an den er diese Briefe geschrieben hat. Ich hatte es satt zu hören, wie verdammt schön und vollkommen sie sei, und habe ihm schon vor Jahren gesagt, er solle mich damit verschonen.« Er zuckte zusammen und blickte dann seinen Bruder an. »Könnte man sie als Traumfrau bezeichnen?
«
»Ja.«
»Mir ist neu, dass du und James den gleichen Geschmack bei Frauen habt.«
Sie ist schön«, sagte Slade brüsk. Er machte sich nicht die Mühe, seinem Bruder zu erzählen, dass sie mehr als schön sei. Sie war reizvoll, sehr reizvoll. Aber es ging nicht einmal um diesen umwerfenden Körper, den er sehr genau und sorgfältig untersucht hatte. Es war ihr Gesicht. Es hatte etwas an sich, das einen Mann verrückt machen konnte und in ihm den Wunsch nach Sex aufkommen ließ. Mit Gewalt verscheuchte er seine Gedanken. Offenbar war sie eine Dame, wenn sein Körper das auch nicht respektieren wollte.
»Also ist das eigentlich gar keine so schlechte Idee. Vielleicht gelingt es dir und Rick, miteinander ins reine zu kommen und ... «
»Nein!« Slade schlug mit der Faust krachend auf den Tisch, so dass die Gläser hüpften, dann zu Boden fielen und zerbrachen. Edward griff nach der Flasche, bevor sie umkippen konnte. Slade vermochte es selbst kaum zu glauben, dass er Elizabeth begehrte, die Verlobte seines Bruders.
»Das war wirklich klug«, meinte Edward.
»In dieser Stadt ist alles noch beim alten«, sagte Slade. »Nichts ändert sich hier. Sie braucht einen Arzt, und ich habe den Doc doch tatsächlich oben bewusstlos mit einer miesen Hure gefunden.«
»Hast du Rick getroffen? Wir sind vor zwei Stunden in der Stadt angekommen. Rick ist bei der Warterei auf deine Rückkehr fast verrückt geworden. Es wird ihm schwer zu schaffen machen, wenn er hört, dass sie den Verstand verloren hat. Das beeinträchtigt seine Pläne sicherlich.«
»Sie hat ihr Gedächtnis verloren«, korrigierte Slade. »Kurz nachdem ich sie ins Hotel gebracht hatte, bin ich ihm begegnet. Ich habe ihm mitgeteilt, dass sie nicht weiß, wer sie ist. Darüber war er sehr überrascht. Ansonsten weiß ich nur, dass er zu ihr gegangen ist.«
Edward sah ihn an. »Was macht dir Sorgen?«
Slade rutschte hin und her. »Nichts.« Er konnte nicht lügen, das hatte er noch nie gekonnt. »Heute war wirklich ein scheußlicher Tag.«
Aber Edward war ein kluger Mann. Zwar konnte er sich unmöglich in Slades Gedanken hineinversetzen, aber er ahnte, was in ihm vorging. »Du hast Elizabeth noch nie getroffen, ich auch nicht. Rick hatte sie als einziger kennengelernt, und ich vermute, er ist jetzt bei ihr. Und wenn die Lady jemand anderes ist?«
»Elizabeth sollte mit diesem Zug ankommen«, führte Slade aus. »Sie war auf dem Weg nach Miramar, um James zu heiraten. Die Hochzeit sollte in zwei Wochen stattfinden. Das war schon lange geplant. Wenn sie aus irgendeinem Grund nicht im Zug gewesen wäre, wenn es einen Notfall, gegeben hätte, dann hätte sie uns ein Telegramm geschickt. Nur ein Fahrgast - eine Frau - wurde vermisst.« Slade zuckte gleichgültig die Schultern.
»Übrigens, sie sieht genauso aus, wie James sie beschrieben hat.« Klein und atemberaubend, setzte er für sich hinzu, einfach vollkommen.
Aber er musste sich eingestehen, dass seine Gleichgültigkeit nur gespielt war. Obwohl er sich am liebsten eingeredet hätte, dass er sich nichts aus ihr mache, stimmte das nicht. Er handelte sich selbst und auch seinem Bruder gegenüber wie ein Verräter und war entsetzt darüber. Er hoffte, dass sie nicht James' Verlobte war. Das war lächerlich und widersprach jeder Logik. Außerdem hatte er überhaupt kein Recht auf eine derartige Hoffnung.
Auch wenn sie nicht zu James gehören sollte - die Chancen dafür standen eine Million zu eins -, war sie doch offensichtlich eine Dame, und Damen schenkten einem Mann wie ihm keine Beachtung. Er würde seine verräterischen Gedanken zügeln, auch wenn es ihn umbringen sollte.
»Was ist los?« fragte Edward wieder.
»Nichts«, knurrte Slade. Er war imstande, seine Gedanken zu verscheuchen, wenn sie bei ihm einzudringen wagten.
Größere Schwierigkeiten
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