Schatten Der Erinnerung
er das Pony genommen hätte.
James packte ihn und wirbelte ihn herum. »Du kannst nicht gehen. Das kannst du einfach nicht tun!«
»Doch, das kann ich.« Slade machte sich fertig, wobei er versuchte, Edward zu ignorieren, der wieder weinte.
»Ich hole Dad!« schrie James.
»Das wirst du nicht tun!« erwiderte Slade scharf. Doch im Innersten wünschte er sich, dass James nicht auf ihn hörte.
Aus dem Schatten heraus sagte auf einmal zur Verblüffung aller Rick: »Er ist wie seine Mutter. Sie wollte weg, und nichts konnte sie davon abhalten. Wenn er unbedingt gehen will, dann laßt ihn doch.«
Es hatte nur dieser Worte noch bedurft. Slade sprang auf den Rotschimmel. James versuchte, ihn am Fuß zu packen, aber Slade trat so fest nach ihm, als ob er sein Vater wäre, den er gerne getroffen hätte.
Edward bettelte: »Bitte, geh nicht. Es tut mir leid. Bitte, geh nicht.«
Doch diese Worte wollte Slade von dem Mann hören, der ihn gezeugt hatte, nicht von seinem Bruder.
Er hatte seines Bruders Flehen nicht beachtet. Als er später in der Nacht allein an einem kleinen Lagerfeuer saß, nicht weit von San Francisco entfernt, nur mit dem Wind und dem Nebel als Gesellschaft, da hatte er geweint wie ein Baby. Damals hatte er zum letzten Mal geweint - bis zu dem Tag, an dem sein Bruder beerdigt wurde.
Es war jetzt etwas über einen Monat her, seit er auf die Nachricht von Edward - nicht von Rick - nach Hause gekommen war. Die kurze Zugreise hatte er im Schockzustand hinter sich gebracht. Er konnte sich kaum daran erinnern, wie er an diesem Tag in San Francisco in den Zug eingestiegen war. Charles war wohl dagewesen, um ihn zu trösten, aber er war sich nicht sicher. Sein Gemüt war nur damit beschäftigt, alles zu leugnen. James konnte doch um Gottes willen nicht tot sein, ertrunken bei einer flutartigen Überschwemmung. Andere Menschen mochten sterben, aber doch nicht James!
In Miramar herrschte Trauer, als er angekommen war. Rick hatte sich tagelang in sein Arbeitszimmer eingeschlossen. Es dauerte Wochen, bis er wieder seine Aufgaben wahrnehmen konnte, und auch dann war sein Gesicht mit aschfarbener Blässe überzogen, und er hatte die automatischen Bewegungen eines Schlafwandlers an sich. Slades Rückkehr bemerkte er kaum, und dabei war Slade zwei Jahre lang nicht zu Hause gewesen. Doch Slade konnte Rick gegenüber keine Bitterkeit empfinden. Er hätte sich sogar vorstellen können, ihn zu trösten.
Aber Rick hielt zu allen Distanz, unfähig, seinen Kummer zu teilen. Später dann kam er auf die verfluchte Idee, dass Slade und Elizabeth heiraten sollten. Slade begriff sofort, dass er ein Narr gewesen war, überhaupt Mitgefühl mit seinem Vater zu haben.
Edward brachte es fertig, seinen Kummer mit großer Selbstdisziplin zu verbergen. Doch sein Lachen und sein witziges Wesen waren verschwunden. Slade wusste, dass er unter der ruhigen Oberfläche ebensolche Qualen litt wie die anderen auch, denn zwischen den Brüdern gab es keine Geheimnisse. Sogar Victoria, Edwards Mutter, zeigte Trauer. Aber Slade war überzeugt davon, dass sie Theater spielte. Wenn sie Slade sah, vergaß sie ihren Schmerz, falls sie überhaupt traurig war, und ihre Augen funkelten vor Wut. Sie war nicht glücklich darüber, dass er nach Hause gekommen war. Das allerdings hatte Slade von ihr auch nicht erwartet.
Die Beerdigung hatte vor vier Wochen stattgefunden, kurz nach Slades Rückkehr. Bis zur Beerdigung war er wie betäubt. Vorher schien James Tod einfach unmöglich zu sein. Die Lobrede auf ihn deprimierte Slade vollends. Was hier zur Sprache kam, war im Gegensatz zu den meisten anderen Lobreden kein Unfug. Vater Joseph übertrieb nicht, als er James' außergewöhnliche Freundlichkeit und unendliche Großzügigkeit sein Mitgefühl und seine moralische Haltung pries. Es stimmte auch, dass sich James der Familie, Josephine und Miramar selbstlos gewidmet hatte. Eine solche Aufrichtigkeit Hingabe und Engagement waren bei einem so jungen Menschen ungewöhnlich. Alles Leben war von Gott gegeben, aber ein junger Mann wie James war ein ganz besonderes und heiliges Geschenk.
Vater Joseph leitete die Missionsstation San Miguel und hatte James von Geburt an gekannt. Er hielt die Lobrede mit Tränen in den Augen und erstickter Stimme. Mitten in der Rede verlor Slade die Beherrschung und weinte. Er konnte sich nicht mehr zurückhalten. Edward erwies sich als stärker und disziplinierter, oder vielleicht hatte er schon genug geweint denn er legte den
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