Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)
einfach neben mir
Platz. Nachdem zwei golden schimmernde Gläser vor uns standen erhob er das
seine. »Ich dachte schon ich komme nie dazu, mal mit dir allein zu sprechen.
Ich bin Robert.«
»Emilia«, antwortete ich und hörte
dabei selbst die Schüchternheit, die in meiner Stimme lag. Warum hatte dieser
Mann nur solch eine Wirkung auf mich? Ich war doch sonst nicht so!
»Freut mich dich kennen zu lernen
Emilia«, sprach er und setzte das Glas dabei an seine Lippen. Oh Gott diese
Stimme, so tief und behütend, ich könnte ihr stundenlang zuhören. »Das war
wirklich sehr beeindruckend. Seit ihr hier schon öfter aufgetreten?«
»Nein, es war unser erster
gemeinsamer Auftritt. Schön, wenn es wenigstens einem gefallen hat.«
»Jetzt aber bloß keine falsche
Bescheidenheit. Du hast den ganzen Raum in deinen Bann gezogen und nun tu nicht
so, als wäre dir das nicht schon ohnehin klar gewesen.«
Natürlich wusste ich es. Ich hatte es
in ihren Gesichtern gesehen, als sie nur noch uns zuhörten, mir zuhörten und
den Rest vergaßen.
Aber warum wusste er, dass ich es
wusste? Ich hatte mich noch nie so durchschaubar gefüllt. Das ich meinen Eltern
nichts vormachen konnte, stand dabei auf einem ganz anderen Blatt. Er war ein
Fremder.
Wir redeten und redeten und redeten.
Er erzählte mir, dass er eigentlich
in Frankfurt am Main arbeitete, aber er sei in einem kleinen Dorf in der Nähe
von Leipzig groß geworden und hatte dieses Wochenende einen Heimaturlaub
eingelegt. Und ich berichtete ihm, dass ich erst seit ein paar Monaten hier in
Leipzig studierte, dass alles noch neu für mich war. Wir redeten über Musik,
was sie in uns auslöst und ich hatte versucht zu beschreiben, wie es sich
anfühlt, wenn man sich völlig der Melodie hingab. Ich war mir nicht sicher, ob
er wirklich verstanden hatte, worauf ich hinaus wollte. Doch er hörte mir zu,
aufmerksam, ohne mich dabei zu unterbrechen und er schien wirklich interessiert
zu sein.
Als ich auf die Uhr sah, war es
bereits vier Uhr durch. Der Barkeeper war gerade dabei, die Stühle
hochzustellen und als ich mich umsah, gab es nur noch zwei Gäste – uns.
»Ich denke es ist Zeit für mich
aufzubrechen«, sagte ich und nahm meine Tasche.
»Ich werde dich noch nach Hause
bringen. Es ist ja schließlich schon spät und eine so hübsche Frau wie du,
sollte des Nachts nicht allein unterwegs sein.«
»Mein Vater sagt immer, ich soll
nicht mit fremden Männern mitgehen«, zog ich ihn auf und war mir selbst nicht
sicher, ob ich schon bereit war, mich von ihm irgendwohin begleiten zu lassen.
»Fremd? Ich? Wir haben gerade einen
Whiskey zusammen getrunken. In Irland wären wir jetzt schon verwandt!«, wand er
übertrieben schockiert ein und fasste sich an sein Herz.
»Na dann streng dich mal an, dass wir
dahin kommen«, sagte ich, drehte mich um und verließ die Bar - allein.
* * *
Wo zur Hölle sollte das denn bitte
sein?
Wir hatten für das Wochenende einen
Auftritt bei einem Dorffest ergattert, doch von dem Dorf war keine Spur zu
sehen. Mein Navi war bereits seit zehn Minuten ausgestiegen und materte mich
immer wieder mit den Worten »An der nächstmöglichen Gelegenheit bitte wenden!
Bitte wenden!«
Scheiße, ich hatte mich total verfranzt.
Warum bin ich auch nicht mit den anderen mitgefahren? Ach ja, mein Dozent zog
es ja vor, auch samstags noch ein Tutorium abzuhalten. Und jetzt blieb mir
gerade mal noch eine viertel Stunde bis wir offiziell anfangen sollten. Wer zur
Hölle war nur auf die Idee gekommen, am Ende der Welt einem Auftritt zuzusagen?
Hinter der nächsten Biegung sah ich
endlich das Ortschild, umrahmt von kryptischen Wegweisern. Ich blieb davor
stehen und stieg aus. Die Luft war schwül, drückend und sofort bildete sich ein
feiner Schweißfilm auf meiner Oberlippe. Ich ging um den Wagen herum und ließ
mich einmal im Kreis drehen. Da sah ich es, etwa zweihundert Meter von mir
entfernt, ein Festzelt – mitten auf dem Acker.
»Das kann ja heiter werden«, murmelte
ich vor mich hin und startete den Motor.
Ich schaffte es beinah in letzter
Minute auf die Bühne. Gott sei Dank hatten die Jungs schon alles aufgebaut, der
Soundcheck war bereits abgeschlossen und eine grölende Menge wartete darauf,
dass wir anfingen. Der Raum war gesättigt vom Bier- und Schweißgeruch und ich
wünschte mir beinah die schwüle Luft zurück. Das Zelt war gefüllt mit aneinandergereihten
Bierzeltgarnituren. Und als das Schlagzeug erklang, brandete die Stimmung so
richtig auf
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