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Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger)

Titel: Schatten der Gegenwart (Für Immer & Länger) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Maria Norda
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starren Verharren und trat einen Schritt Richtung Bühnenrand. Es war
eigentlich keine richtige Bühne. Der Barbesitzer hatte ein paar Podeste in die
hintere Ecke seiner Kneipe gestellt und die Scheinwerfer und Lautsprecher waren
an mobilen Ständern befestigt.
    Ich wollte bei den Leuten dort vor
mir sein. Ich wollte, dass sie fühlten, was ich fühlte. Schritt für Schritt verließ
ich den Lichtschein, stand nun nur noch wenige Meter von ihnen entfernt und ich
sah, wie sie nun richtig zuhörten. Wie sie mir lauschten, bei jedem
Wort, das über meine Lippen kam. Michael würde mir das sicherlich vorhalten. »Wozu
haben ich denn die Monitore aufgebaut?«, würde er schimpfen.
    Aber es war mir egal. Ich brauchte
diesen ganzen technischen Schnickschnack nicht, damit ich wusste, was ich sang.
Ich konnte es fühlen. Ich spürte, wie jeder Ton meinen Hals entlang stieg, wie
meine Stimmbänder vibrierten, wie mein Bauch sich anspannte und mir die nötige
Luft schenkte.
    Der Raum war bis auf den letzten
Platz gefüllt. Am Rand standen sogar noch ein paar und hielten ihr Bier in der
Hand.
    Und dann traf mein Blick auf zwei
Augen. Zwei dunkle Perlen, die mich unaufhörlich ansahen. Sie schienen nicht
von meiner Seite zu weichen. Ich konnte ihnen nicht entkommen, war von ihnen
gefangen und konnte nicht aufhören, sie ebenfalls anzusehen.
    All die anderen um mich herum verschwanden,
wurden zu einer farblosen Masse und es gab nur noch diese Augen, für die ich sang.
Lied für Lied spielten wir, mal ruhig, mal pulsierend, mal laut, mal leise –
und immer waren sie da, diese Augen und der Mann, dem sie gehörten. Die zwei
Stunden vergingen wie im Flug und als Michael den letzten Song ansagte, wurde
mein Herz auf einmal ganz schwer. Ich wollte nicht, dass es aufhörte.
Ich wollte nicht, dass er aufhörte, mich anzusehen.
    Nachdem wir noch zwei Zugaben
gespielt hatten war der Zauber verflogen. Die Gäste widmeten sich wieder ihren
Getränken und Stimmengewirr brandete auf.
    Wir hatten uns an einem runden Tisch
zusammengesetzt und begossen unseren ersten gemeinsamen und noch dazu
erfolgreichen Auftritt. Ich kannte die Jungs erst seit ein paar Monaten und
mehr durch Zufall wurde ich zu ihrer neuen Sängerin.
    Michael, unser Gitarrist, hatte mich
damals den anderen Bandmitgliedern vorgestellt, kurz nachdem ich nach Leipzig
gezogen war. Sie waren schon länger zusammen gewesen, hatten aber nie die
Ambitionen gehabt, damit auch wirklich aufzutreten.
    Kurz vor Mitternacht löste sich die
Runde auf. Unser Schlagzeuger Rico war wild entschlossen, seine neue
Bekanntschaft, eine üppig ausgestattete Blondine, heute nicht allein nach Hause
gehen zu lassen.
    Irgendwann saßen nur noch Michael und
ich am Tisch. Er hatte seinen Kopf auf dem Arm abgestützt und nippte an seiner
Cola.
    »Meinst du nicht, dass es besser ist,
wenn du nach Hause gehst und dich ins Bett legst«, fragte ich ihn, in der
Hoffnung, dass er endlich aufbrechen würde. Er hatte den Auftritt nur mit einer
hohen Dosis Schmerzmittel überstanden und die Erschöpfung stand ihm ins Gesicht
geschrieben. »Es ist ok, ich bleibe auch nicht mehr lange. Du kannst doch kaum
noch die Augen offen halten«, fügte ich hinzu.
    »Ist ja gut Mutti, ich zieh ja schon
ab«, spöttelte er. Aber zumindest hatte er eingesehen, dass ich Recht hatte.
    Und dann saß ich allein an dem
inzwischen viel zu groß gewordenen Tisch. Ich nahm mein halbvolles Bier und
schlenderte zum Bartresen. Möglichst unauffällig ließ ich meinen Blick auf dem
Weg dorthin durch den Raum schweifen.
    Der Tisch, an dem die Augen gesessen
hatten, war inzwischen ebenfalls verwaist. Verdammter Mist, ich hatte ihn
verpasst. Zwar hatten sich nach unserem Auftritt immer wieder unsere Blicke
gekreuzt, aber nun war auch er gegangen. Schade eigentlich, ich hätte gern mehr
über diesen Mann erfahren. Dieser Mann, der mich mit seinen Augen so gefangen
genommen hatte.
    Ich ließ mich auf einem der Hocker
nieder und als ich gerade noch ein weiteres Bier bestellen wollte, wurde ich von
der Seite unterbrochen.
    »Einen Whisky bitte«, sprachen die
Augen , die nun direkt neben mir standen. Er sah mich eindringlich an, wand
sich dann aber erneut zum Barmann. »Machen Sie zwei draus.« Verschmitzt lächelnd
sah er mich dabei an und ich war unfähig, ihm zu widersprechen.
    »Ich darf doch, oder?«, fragte er,
den Arm auf den Barhocker neben mir legend. Warum er überhaupt gefragt hatte?
Er wartete nicht einmal auf meine Antwort, sondern nahm

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